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Eine Schwester zum Glück

Eine Schwester zum Glück

Titel: Eine Schwester zum Glück
Autoren: Katherine Center
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Kreise zogen, und der gewaltigen Zuschauer menge – später würden wir sie auf zweitausend Leute schätzen –, die sich unten auf dem Rasen versammelte. Wenn der große Moment kam, wollte ich einen drama tischen Auftritt hinlegen.
    Ich hatte mir schon das Gesicht gewaschen, so viel meines restlichen Körpers, wie in der Bibliothekstoilette möglich war, und hatte eine Extraportion Deo und das Parfum Heaven benutzt. Meine Zähne waren geputzt, mit Zahn seide gereinigt, ich trug ein frisches Rettet-die- Bibliothek-der-Liebe! -T-Shirt und lutschte ein Tic Tac als Vorbereitung auf die neunundneunzig Küsse, die ich gleich Ryan geben würde, dem süßen College-Jungen und Alibi-Wildfremden. Mir ging gerade durch den Kopf, wie seltsam es war, im Vorhinein zu wissen, dass ich gleich geküsst werden würde, dass Küsse normalerweise nichts waren, was man minutiös in den Terminkalender einplante, da rief Howard an.
    »Wir haben ein Problem«, sagte Howard. »Ryan hat sich gerade übergeben.«
    »Übergeben?«
    »Anscheinend übergibt er sich schon den ganzen Morgen, hat Fieber und andere ›Probleme des Verdauungs trakts‹. Aber er wollte nicht seine Chance verpassen, Sie zu küssen«, sagte Howard. »Das ist ein nettes Kompliment, nicht wahr?«
    »Na ja, irgendwie«, meinte ich.
    Jetzt war Ryans Mom im Anmarsch, um ihn abzuholen, und man suchte hektisch nach einem Ersatz.
    »Keine Sorge«, sagte Howard. »So übel sind Sie nicht. Wir finden schon jemanden.«
    Howard legte auf, und ich robbte aus dem Zelt und spähte um das Banner herum, um die Menge nach einem halbwegs annehmbaren Mann abzusuchen, der Ryans Platz einnehmen könnte.
    Aber es waren alles Fremde. Ich war bereit gewesen, Ryan zu küssen. Wir hatten wochenlang im Büro miteinander geflirtet und uns darauf eingestellt. Er war nicht etwa ein Traummann, aber ich wusste ganz gut über seine allgemeine Körperhygiene Bescheid, und ich war mir relativ sicher, dass er kein Verrückter war. Bei einem kurzen Kuss an einem Stand für wohltätige Zwecke hätte ich wahrscheinlich einen wildfremden Mann küssen können. Aber das hier waren neunundneunzig Küsse. Das waren viele Küsse.
    Ich klappte das Handy wieder auf und rief Howard zurück. »Howard«, sagte ich. »Ich will keinen Fremden küssen.«
    »Was anderes haben wir hier unten nicht zu bieten, Süße«, erwiderte Howard.
    »Dann machen es eben Sie.«
    Howard tat so, als hätte er mich nicht gehört. »Wer?«
    »Sie, Howard. Sie.«
    »Ich will es aber nicht machen.«
    »Howard«, sagte ich. »Das ist mir egal. Ich will nicht, dass ein ekliger Typ mit Vogelgrippe und Porno-Garage hochkommt.«
    »Ich kann nicht«, meinte Howard. »Ich hab seit der neunten Klasse kein Mädchen mehr geküsst.«
    »Was soll’s!«
    »Bei dem Gedanken dreht sich mir tatsächlich ein bisschen der Magen um«, fuhr Howard fort.
    »Willkommen im Club, Howard«, sagte ich. Und dann beschloss ich, mich von Dixies Selbstverteidigungskurs inspirieren zu lassen. Howard musste motiviert werden, und ich gab alles, was ich hatte: »Jemand muss es machen, Howard! The show must go on! Tun Sie es für die Bibliothek der Liebe! Tun Sie es für Emmet Frost und Minnie! Tun Sie es für all die Bauwerke, die vor den Bulldozern in die Knie gegangen sind! Sie können dieses Bauwerk retten, Howard! Aber uns bleiben nur noch fünf Minuten! Also gehen Sie und putzen Sie sich die Zähne, schnappen Sie sich ein Pfefferminzbonbon und bewegen Sie gefälligst Ihren Hintern hier hoch!«
    Es funktionierte, aber nur halb. Howard stieß einen lang gezogenen Seufzer aus. »Legen Sie extra Deo auf«, sagte er. »Ich bin in fünf Minuten oben.«
    In der verbleibenden Zeit versuchte ich, mich darauf einzustellen, dass ich Howard mit seinem Walross-Schnurr bart, seinen Zähnen voller Kaffeeflecken und seinem dicken Bauch küssen würde. Er trug heute meine Lieblingskrawatte, das war immerhin etwas.
    Ich kroch in mein Zelt zurück, schob mir noch ein Tic Tac in den Mund und wartete ab. Wir würden das schon hinkriegen. Wir würden einfach so tun. Wir opferten zehn Minuten unseres Lebens im Dienste des öffentlichen Wohles. Wenn Hollywood das konnte, dann konnten wir das schon lange. Um des Bauwerkes willen würde ich alles hinkriegen. Und ich war mir ziemlich sicher, dass es Howard ebenso ging. Eines Tages würden wir uns daran zurückerinnern und lachen. Oder vielleicht wären wir deswegen auch bis an unser Lebensende peinlich berührt und verlegen, dachte ich, als ich
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