Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras
Autoren: Andrzej Szczypiorski
Vom Netzwerk:
Zungendrescher, Wollüstlinge und auch ein paar leichte Frauenzimmer. Mich wunderte das gar nicht; Philipp alterte häßlich, immer ungestümer haspelte er die Gebete ab, und nur noch scheelen Blicks sah er auf die geile, lärmende Bande – weshalb ein Teil des Hofes klugerweise eingesehen hatte, daß es besser war, in Arras unter der gnädigen und zudem fernen Hand Davids zu bleiben. Königliche Bastarde haben ein milderes Verhältnis zur Sünde als ihre edelgeborenen Väter.
    So also war in jenem Frühling Arras mit dem lärmenden Völkchen von Burgundern und Engländern angefüllt. Es gab da auch eine englische Dirne, die in der Liebe sehr geschickt war. Sie zählte zwanzig und ein paar Jahre, und des nachts träumte ich von dieser Frau. Den Kommentar des Gerson hatte ich bald in die Ecke geworfen und streunte nun mit jener Dirne durch die Wiesen und freute mich des Lebens.
    Eines Tages stürzte Albert auf mich los und schlug mir ins Gesicht. Ich litt furchtbar unter dem Schmerz und der Demütigung. Als ich endlich genesen war, hatte die Dirne Arras längst verlassen, Albert aber unterzog mich einem strengen Verhör.
    »Woher die Gewißheit«, sagte ich damals frech, »daß es ziemlicher sei, Gott mit einem Disput über das Werk Meister Gersons zu ehren als mit den Lenden? Du hast mir von Liebe gesprochen, Albert. Hundertmal mehr liebe ich den Bauch einer Frau als die Wälzer der Mummelgreise von der Sorbonne. Was hat schon Gerson von meinen Glossen! Er ist längst zu Staub zerfallen, und im besten Falle sehen wir uns in fünftausend Jahren im Tale Josaphat… Was aber die englische Dirne betrifft, so haben wir beide auf den Wiesen vor der Stadt das Glück gekostet. Und woher kann man wissen, ob nicht gerade das Gott wohlgefällig ist?«
    »Du lästerst!« schrie Albert.
    So war er immer. Wenn er lehrte, sprudelten Klugheit und Nachsicht aus ihm heraus wie Wasser aus einer Quelle. Aber wehe, wenn man versuchte, nach seinen Geboten zu leben – gleich drohte er mit der Hölle! Er hegte in sich die reine Idee, nach der zwischen Gott und den Menschen eine wunderbare Harmonie besteht – aber ihre Realisierung widerte ihn an.
    * Gerson – Jean Charlier, gen. Gerson (gest. 1429 zu Lyon), berühmter Wortführer einer Reform der »Kirche an Haupt und Gliedern«

I M N AMEN DES V ATERS UND DES S OHNES UND DES H EILIGEN G EISTES. A MEN . Alles war gut, meine Herren, aber gerade das war die Hölle. Stellt euch mein Dasein an der Seite dieses würdigen und verständnisvollen Lehrers vor, der schließlich als Musterbild sämtlicher Tugenden gelten durfte! Er hat mir gesagt: »Liebe die Tiere, denn sie sind deine jüngeren Brüder!« Aber als ich in einem harten Winter meinen Pferden in reichem Maße Hafer hinschütten ließ, warf er mir Leichtsinn und Verschwendungssucht vor. Er hat mir gesagt: »Liebe die Frau, denn sie ist dir von Gott gegeben!« Aber als ich mir eine Konkubine hielt, jagte er sie mit einem solchen Gezeter aus dem Haus, daß es die ganze Stadt hörte, und beschuldigte mich eines liederlichen Lebenswandels, was natürlich in Arras, wo jeder angesehene Bürger mehr Liebste als Reitpferde sein eigen nannte, allgemeine Heiterkeit hervorrief. Er hat mir gesagt: »Liebe deinen Nächsten und behandele ihn wie einen Gleichgestellten, denn er ist dir gleich!« Aber als ich mir Mühe gab, mich seinen Lehren anzupassen, geißelte er mich, wobei er ausrief, daß ich noch in geistiger Umnachtung enden werde. Er hat mir gesagt, ich solle die Juden nicht verabscheuen, aber er selbst wollte in meinem Hause nicht zu Tische sitzen, weil jüdische Bankiers aus Utrecht hin und wieder bei mir speisten. Das schlimmste war, daß er kein bißchen heuchelte! Mit seinem eisernen Glauben gepanzert, wandelte er durch die Stadt Arras – so bescheiden, daß er beinah hochmütig, so weise, daß er beinah töricht, so ehrbar, daß er beinah nichtswürdig war. Nur eines fürchtete er auf der Welt mehr als die Hölle: Er fürchtete David, meine Herren!
    Einmal war ich bei einem ihrer Gespräche zugegen. David war ganz unerwartet, mit nicht sehr großem Gefolge, eingetroffen. Er baute sich vor Albert auf und begrüßte ihn, indem er sich bis zur Erde vor ihm verneigte. Der Bischof war stämmig, schwarz, die Haut gegerbt von den Nordwinden; Albert dagegen war weiß wie Schnee, altersgebeugt, mit langem grauem Bart. Der königliche Bastard – ein unverwüstlicher Gauner, der Teufel in leibhaftiger Gestalt, ein Vielfraß, ein Lügner, voll
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher