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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
Autoren: Yuval Noah Harari
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glücklicher sind, wenn wir unsere persönlichen Illusionen mit denen unserer Zeitgenossen in Einklang bringen. Solange meine Vorstellung mit den Vorstellungen der Menschen in meiner Umgebung harmoniert, kann ich mir einreden, dass mein Leben einen Sinn hat, und daraus mein Glück ziehen.
    Das ist eine niederschmetternde Schlussfolgerung. Sollte Glück tatsächlich nur durch Selbstbetrug möglich sein?
    Erkenne dich selbst
    Wenn Glück gleichbedeutend ist mit angenehmen Empfindungen, dann müssen wir unsere Biochemie manipulieren. Wenn mein Glück von einem Lebenssinn abhängt, dann muss ich mir eine wirkungsvolle Illusion zurechtlegen. Aber gibt es noch eine dritte Alternative?
    Beide Sichtweisen gehen davon aus, dass Glück eine subjektive Empfindung ist, und dass wir, um das Glück eines Menschen zu beurteilen, diesen einfach fragen können. Wenn uns das auf Anhieb überzeugt, dann liegt das daran, dass die vorherrschende Religion unserer Tage der liberale Humanismus ist. Für diesen gehen die subjektiven Empfindungen der Menschen über alles. Demnach entscheiden allein unsere Gefühle darüber, was gut ist und was schlecht, was schön ist und was hässlich, was sein sollte und was nicht.
    Die liberale Politik basiert auf genau dieser Annahme, dass es »der Wähler am besten weiß«. Die liberale Wirtschaft gründet auf dem Gedanken »der Kunde hat immer recht«. Die liberale Kunst erklärt, »Schönheit ist Ansichtssache«. Den Schülern und Studierenden an liberalen Schulen und Universitäten wird eingebläut: »Denk selbstständig!« Millionen Werbespots drängen uns: »Just Do It!« Kinofilme, Theaterstücke, Seifenopern, Romane und Popsongs flüstern uns dauernd ein: »Bleib dir selbst treu!«, »Hör auf dich!« und »Folge deinem Herzen!« Für diese Einstellung fand Jean-Jacques Rousseau die klassische Formulierung: »Alles, von dem mir mein Gefühl sagt, dass es gut ist, ist auch wirklich gut; alles, was mein Gefühl schlecht nennt, ist schlecht.«
    Wer von Kindesbeinen an mit diesen Weisheiten aufwächst, muss natürlich zu dem Schluss kommen, dass Glück eine subjektive Empfindung ist und dass jeder Mensch am besten weiß, ob er oder sie glücklich ist oder nicht. Doch der Liberalismus steht mit dieser Ansicht allein auf weiter Flur. Die meisten Religionen und Ideologien der Vergangenheit behaupteten, es gebe objektive Maßstäbe für das Gute, Schöne und Wahre. Den subjektiven Empfindungen und Vorlieben des Einzelnen begegneten sie dagegen mit Misstrauen. Am Eingang des Apollotempels von Delphi wurden Besucher von der Inschrift »Erkenne dich selbst!« begrüßt. Dahinter steckte die Annahme, dass Normalsterbliche ihr wahres Selbst gar nicht kennen und daher auch nicht wissen können, was gut oder schlecht für sie ist. Sigmund Freud hätte dem vermutlich zugestimmt. 118
    Genau wie viele christliche Theologen. Der Apostel Paulus und der Heilige Augustinus wussten nur zu gut, dass die meisten Menschen Sex jederzeit dem Gebet vorziehen würden. Aber bedeutet das automatisch, dass Geschlechtsverkehr der Schlüssel zum Glück ist? Nach Ansicht von Paulus und Augustinus jedenfalls nicht. Für sie bedeutet das vielmehr, dass die Menschheit von Natur aus verderbt ist und den Verführungen des Teufels erliegt. Aus christlicher Sicht befinden sich die meisten Menschen mehr oder weniger in derselben Situation wie Heroinsüchtige. Bei einer Befragung würden sie natürlich angeben, dass sie nur glücklich sind, wenn sie ihren Stoff haben – aber sollte man daraus den Schluss ziehen, dass Heroin der Schlüssel zum Glück ist?
    Die Vorstellung, dass das subjektive Empfinden nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann, ist nicht auf das Christentum beschränkt. In diesem Punkt würden sogar Charles Darwin und Richard Dawkins dem Apostel Paulus und dem Heiligen Augustinus zustimmen. Unter dem Druck der natürlichen Auslese entscheiden sich Menschen, wie jeder andere Organismus auch, für Optionen, die der Fortpflanzung ihrer Gene nützen, auch wenn ihnen das persönlich ganz erheblich schaden kann. Statt das Leben zu genießen, plagen wir uns mit völlig unnötigen Sorgen herum, nur weil unsere egoistischen Gene uns vor ihren Karren spannen. Die DNA hat erschreckende Ähnlichkeit mit dem Teufel.
    Die meisten Religionen und Philosophien vertreten daher ein ganz anderes Glücksverständnis als der liberale Humanismus. 119 In diesem Zusammenhang ist der Buddhismus besonders interessant. Der Buddhismus räumt der
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