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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
Autoren: Yuval Noah Harari
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Polizei und Wahlen, sondern über Psychopharmaka. Jeder Bürger nimmt täglich eine synthetische Droge namens Soma ein, die die Menschen glücklich macht, ohne ihre Produktivität und Effizienz zu beeinträchtigen. Die Weltregierung, die über den gesamten Planeten herrscht, wird nie von Kriegen, Revolutionen, Streiks oder Demonstrationen bedroht, da alle Menschen mit ihren Lebensumständen rundherum zufrieden sind. Huxleys Zukunftsvision ist noch erschreckender als George Orwells 1984 . Huxleys Welt verstört uns, obwohl wir nicht genau sagen können warum. Es sind doch alle glücklich – wo ist das Problem?
    Der Sinn des Lebens
    Nicht alle Wissenschaftler sind der Ansicht, dass Glück allein eine Funktion unserer Biochemie ist. Zwar regulieren unsere Gene und Chemikalien gemeinsam Lust und Leid, doch Glück ist mehr als nur ein angenehmes Gefühl. In einer berühmten Untersuchung bat Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman seine Versuchspersonen, einen typischen Arbeitstag Situation für Situation durchzugehen und zu beurteilen, um sich ein detailliertes Bild davon zu machen, wie sie ihren Alltag erleben. Dabei entdeckte er einen sonderbaren Widerspruch. Nehmen wir als Beispiel Kinder: Wenn man die glücklichen und anstrengenden Momente einzeln zählt, dann ist es eine hochgradig unangenehme Erfahrung, Kinder zu haben. Sie besteht hauptsächlich darin, Windeln zu wechseln, Geschirr zu spülen und mit Kindergeschrei fertigzuwerden – alles Dinge, die kaum jemand gern macht. Trotzdem behaupten die meisten Eltern, ihre Kinder seien ihr größtes Glück. Wissen diese Leute nicht, was gut für sie ist?
    Das kann schon sein. Es kann aber auch bedeuten, dass Glück eben nicht darin besteht, unterm Strich mehr glückliche als unglückliche Momente zu haben. Glück bedeutet vielmehr, das Leben als Ganzes als sinnvoll und lohnend zu erleben. Unsere Werte entscheiden darüber, ob wir uns als »elende Sklaven eines winzigen Diktators« begreifen oder meinen, dass wir »liebevoll ein neues Leben heranziehen«. 117 Oder wie Nietzsche sagte: »Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie.« Ein sinnvolles Leben kann ausgesprochen befriedigend sein, auch wenn es noch so hart ist, und ein sinnloses Leben kann eine schreckliche Qual sein, auch wenn es noch so angenehm ist.
    Obwohl die Menschen aller Kulturen und Zeiten dieselbe Freude und dasselbe Leid empfunden haben, haben sie ihren Erfahrungen einen ganz unterschiedlichen Sinn gegeben. Deshalb ist die Geschichte des Glücks vermutlich sehr viel turbulenter verlaufen, als die Biologen sich dies vorstellen. Auch das spricht nicht unbedingt für die Neuzeit. Minute für Minute gemessen hatten die Bauern des Mittelalters sicherlich ein hartes Leben. Aber wenn sie an ein Leben nach dem Tod glaubten, dann erfuhren sie aus dem Versprechen auf das ewige Glück vielleicht mehr Sinn als die säkularisierten Menschen der Moderne, die auf lange Sicht nichts anderes erwarten können als Sinnlosigkeit und Vergessen. Auf die Frage »Sind Sie mit Ihrem Leben als Ganzem zufrieden?« hätten fromme mittelalterliche Bauern mit ihren Antworten vermutlich auf der Glücksskala ganz weit oben abgeschnitten.
    Heißt das, dass unsere Vorfahren im Mittelalter glücklich waren, weil sie einer Illusion über ein Leben nach dem Tod auf den Leim gingen? Ja. Aber was ist daran auszusetzen? Soweit wir das aus rein wissenschaftlicher Sicht beurteilen können, hat das Leben nicht den geringsten Sinn. Wir sind nicht mehr als das Produkt eines evolutionären Prozesses, der ohne Zweck oder Ziel agiert. Unser Leben ist nicht Teil eines göttlichen Plans für das gesamte Universum, und wenn die Erde morgen in die Luft fliegen sollte, würde das Universum wie gewohnt seinen Routinen nachgehen. Niemand würde uns Menschen mit unseren subjektiven Empfindungen vermissen. Daher ist jeder Sinn, den wir unserem Leben geben, reine Illusion. Das trifft auf den humanistischen und kapitalistischen Lebenssinn der modernen Menschen genauso zu wie auf den religiösen Lebenssinn der Bauern des Mittelalters. Die modernen Wissenschaftler, Soldaten oder Unternehmer, die ihr Leben für sinnvoll halten, weil sie das Wissen der Menschheit mehren, ihr Vaterland verteidigen oder Unternehmen gründen, geben sich denselben Illusionen hin wie ihre mittelalterlichen Kollegen, die den Sinn ihres Lebens darin sahen, die Bibel zu lesen, das Heilige Land zu befreien oder eine Kirche zu bauen. Es könnte also sein, dass wir
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