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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
Autoren: Yuval Noah Harari
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Gemeinschaft mehr als aufgezehrt worden sein könnte. In diesem Fall wäre der westliche Durchschnittsbürger heute nicht glücklicher als im Jahr 1800. Selbst unsere so geschätzten Freiheiten könnten sich in unserer Glücksbilanz negativ auswirken. Zwar haben wir bei der Wahl unseres Lebenswegs immer mehr Möglichkeiten, aber gleichzeitig fällt es uns immer schwerer, uns festzulegen und Verpflichtungen einzugehen. Daher leben wir in einer immer einsameren Welt, in der die Bande von Familie und Gemeinschaft reißen.
    Die wichtigste Erkenntnis ist jedoch, dass unser Glück weniger von objektiven Umständen wie Geld, Gesundheit und sogar einer funktionierenden Gemeinschaft abhängt, sondern vor allem vom Verhältnis zwischen den objektiven Umständen und unseren subjektiven Erwartungen. Wenn Sie sich einen Ochsenkarren wünschen und einen Ochsenkarren bekommen, dann sind Sie zufrieden. Wenn Sie dagegen einen nagelneuen Ferrari wollen und einen gebrauchten Fiat bekommen, dann fühlen Sie sich betrogen. Deshalb hat ein Lottogewinn langfristig dieselben Auswirkungen auf unser Glück wie eine Behinderung nach einem Autounfall. Wenn sich unsere Situation verbessert, werden unsere Erwartungen größer, weshalb uns selbst eine dramatische Verbesserung unserer objektiven Lebensumstände unzufrieden machen kann. Aber wenn sich die Umstände verschlechtern, erwarten wir weniger, weshalb sich selbst eine schwere Krankheit möglicherweise nicht auf unser subjektives Wohlbefinden auswirkt.
    Sie könnten jetzt sagen, dass wir für diese Erkenntnis keine Psychologen mit ihren Fragebögen brauchen. Propheten, Dichter und Philosophen haben schon vor Jahrtausenden erkannt, dass es wichtiger ist, mit dem zufrieden zu sein, was wir haben, als mehr von dem zu bekommen, was wir uns wünschen. Trotzdem ist es immer wieder schön, wenn die modernen Wissenschaften mit ihren Zahlen und Grafiken zu denselben Schlüssen kommen wie die alten Weisen.
    *
    Die zentrale Rolle der Erwartungen hat entscheidende Auswirkungen auf die Geschichte des Glücks. Wenn unser Wohlbefinden nur von materiellen Umständen wie Einkommen, Gesundheit und sozialen Beziehungen abhängen würde, dann ließe sich seine historische Entwicklung leicht rekonstruieren. Doch die Erkenntnis, dass das Glück vor allem von subjektiven Erwartungen abhängt, erschwert den Historikern die Arbeit. Wir haben zwar heute ein Arsenal von Beruhigungs- und Schmerzmitteln zur Verfügung, doch unsere Erwartung eines schmerzfreien und lustvollen Lebens und unsere Empfindlichkeit gegenüber kleinsten Unannehmlichkeiten sind derart explodiert, dass wir heute vielleicht mehr unter Schmerzen leiden als unsere Vorfahren.
    Wenn es uns schwer fällt, diese Erkenntnis zu schlucken, dann liegt das an einem typischen Denkfehler: Wenn wir uns vorstellen wollen, wie glücklich andere Menschen sind oder waren, dann versetzen wir uns in ihre Lage. Das kann jedoch nicht funktionieren, denn damit beurteilen wir das Leben anderer mit der Messlatte unserer Erwartungen. Als Bürger einer modernen Wohlstandsgesellschaft haben wir uns daran gewöhnt, jeden Morgen zu duschen und jeden Tag frische Kleider anzuziehen. Die Bauern des Mittelalters wuschen sich oft monatelang nicht und wechselten nur selten die Kleider. Uns wird schon allein bei dem Gedanken an den Schmutz und den Gestank übel. Die mittelalterlichen Bauern scheinen sich daran nicht gestört zu haben. Sie waren das Aroma gewöhnt. Es ist nicht so, als hätten sie sich danach gesehnt, endlich ihr schmutziges gegen ein frisch gebügeltes Hemd tauschen zu dürfen – sie hatten alles, was sie wollten. Zumindest was ihre Kleidung anging, waren sie zufrieden.
    Wenn Glück eine Frage der Erwartungen ist, dann könnten zwei Säulen unserer Gesellschaft – die Massenmedien und die Werbung – entscheidend zu unserem Unglück beitragen. Ein Achtzehnjähriger, der vor 5000 Jahren in einem kleinen Dorf lebte, hielt sich vermutlich für ausgesprochen attraktiv; er verglich sich mit den fünfzig anderen Männern in seinem Dorf, von denen die meisten alt und runzlig oder noch Kinder waren. Ein Jugendlicher in einem Dorf von heute fühlt sich vermutlich deutlich weniger sexy. Seine Schulkameraden sind vielleicht auch keine Supermänner, aber mit denen vergleicht er sich ja auch nicht; sein Maßstab sind die Filmstars, Sportler und Topmodelle, die er jeden Tag im Fernsehen und auf Werbeplakaten sieht.
    Deshalb hängt die Unzufriedenheit der Menschen in der Dritten
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