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Eine glückliche Ehe

Eine glückliche Ehe

Titel: Eine glückliche Ehe
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nach alter Überlieferung wurde Hellmuths persönlicher Arbeitsraum in der Villa Fedeltà so genannt – wirkte auf sie in seiner der Renaissance nachempfundenen Pracht ohne Hellmuths Zweizentnervitalität im höchsten Maße fremd. Kalter Prunk, den nur sein Lachen mit Leben erfüllt hatte, seine Stimme, sein Gang. Und dieser klotzige geschnitzte Schreibtisch, wo ihm seine besten Ideen kamen – unerschöpflich und immer erfolgreich waren seine Einfälle. Bis zu dem Morgen, da er im Badezimmer auf dem orangefarbenen Teppich lag, die eine Gesichtshälfte rasiert, die andere noch mit Seifenschaum bedeckt.
    »Ein klassischer Fall von Herzinfarkt!« hatte Dr. Bernharts gesagt. »Ich habe es kommen sehen. Ich habe es kommen sehen! Aber Ärzte waren bei ihm ja Bogenpisser! Ich bin gesund wie hundert Bullenschwänze – das hielt er mir immer vor, wenn ich ihm riet, einmal auszusetzen und an sich zu denken!«
    Das sagte Dr. Bernharts natürlich nicht zu der Witwe, das erzählte er nur am Ärztestammtisch im Restaurant Kuckuck.
    Aber irgendwie stimmte das mit der ungebrochenen Gesundheit. In einunddreißig Jahren hatte Hellmuth Wegener nicht länger als sechs Wochen krank im Bett gelegen, davon am längsten vierzehn Tage hintereinander, weil er sich beim Richtfest eines seiner Neubauten den linken Knöchel angebrochen hatte, mit besoffenem Kopp, wie er später lachend erzählte. Ein Stier, den nichts umwarf. Bis plötzlich das Herz aussetzte.
    Das Herrenzimmer, so kalt und unpersönlich es sich auch ausnahm, war wohlig warm. Der Regen hatte zugenommen; hier, im Stadtwald, war es keine Nässe mehr, die aus Nebeln schwebte, hier trommelten dicke Tropfen an die Scheiben. In der großen Villa Fedeltà war es still. Das Personal war beim Totenessen und half servieren. Es hatte sich freiwillig dazu gemeldet, im Gedenken an den Chef, der sie alle geduzt hatte und eher Kumpel als feiner Herr gewesen war. Natürlich konnte er auch ganz vornehm sein, bei offiziellen Empfängen, im Frack oder Smoking, im Konzert oder bei den Wagner-Festspielen, er gehörte ja zum Ring der Freunde Bayreuths – aber wenn er zu Hause war, nannte er den Gärtner ›Franz, die Kanaille‹ und den Chauffeur, der den Mercedes fuhr, ›Hugo vom Stuttgarter Stern‹. Paula und Doris, Köchin und Hausmädchen, liebten ihn heimlich. Es war rein platonisch, aber es wirkte sich auf die Küche und die Sauberkeit im Hause aus.
    Sie trat ans Fenster, blickte hinaus in den grauen, vom Regen betrommelten Park und drückte die Stirn gegen die kalte, feuchte Scheibe. Man muß das Alleinsein jetzt üben, dachte sie. Siebenundzwanzig Jahre war er immer da, konnte man mit ihm reden, kam auf jede Frage seine Antwort, lag er neben mir, hörte ich seinen Atem, wachte ich nachts von seinem Schnarchen auf oder wachte auch auf, wenn er nicht schnarchte, aus Angst, ihm könnte etwas passiert sein, denn solange er schnarchte, war er da, lebte er, gab es einen neuen Morgen mit ihm … Und plötzlich ist man allein, man hört nur seine eigene Stimme widerhallen in allen Räumen, und man hört nicht mehr: ›Irmi, du bist mein Dummerchen!‹ oder ›Irmi, ich habe schon wieder zugenommen. Im Büro, bei der Sitzung mit dem Vorstand, ist mir der Hemdenknopf überm Bauch abgeplatzt. Diese verdammten Arbeitsessen! Warum muß man Verträge immer beim Fressen machen?!‹
    Das alles fehlte jetzt. Einsamkeit ist wie ein Helm, dessen Visier herunterklappte. Man hört und sieht die Welt, aber man steht draußen. Sie stieß sich vom Fenster ab, ging in den Raum hinein und setzte sich in den breiten Sessel, in dem Hellmuth es sich immer bequem gemacht hatte, wenn ihm eine Idee eingefallen und er davon überzeugt war, daß sich aus dieser Idee etwas machen ließe. Dann trank er immer einen Wodka, nur einen, und fiel in tiefe Nachdenklichkeit.
    »Woran denkst du?« hatte sie dann gefragt.
    Und er hatte geantwortet: »Das Leben ist manchmal verrückt. Total verrückt.«
    Dann lachte er wieder, und die Minute der Besinnung (auf was besann er sich?) war vorüber.
    Jetzt saß sie in seinem Sessel, öffnete die schwarze Handtasche und holte einen kleinen, flachen Kasten heraus. Er war aus goldbepinseltem Holz, eine venezianische Handarbeit, wie man sie massenhaft an Touristen verkauft. Dr. Schwangler, der Rechtsanwalt und Freund der Familie, hatte den Kasten nach der amtlichen Todeserklärung der wie erstarrt sitzenden Irmgard Wegener übergeben.
    »Es war Hellmuths Wille«, hatte Dr. Schwangler, dieses
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