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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
Autoren: Neil MacGregor
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erfahren zudem, dass man ein wertvolles, harzähnliches Öl in seinen Körper gegossen hat, um ihn zu konservieren, und wir finden Amulette, Ringe, Schmuckstücke und kleine Talismane, die unter den Leinentüchern auf seinen Körper gelegt wurden und ihn auf seiner Reise ins Jenseits beschützen sollten. Wickelt man eine Mumie aus, ist das ein ziemlich destruktives Verfahren, und die Amulette, die sehr klein sind, können verrutschen; ihre Platzierung aber ist ganz entscheidend für ihre Zauberfunktion, und wenn wir die Mumie durchleuchten, sehen wir sie genau in der Position und in dem Verhältnis zueinander, wie sie vor mehreren tausend Jahren dort platziert wurden – ein ungeheurer Erkenntnisgewinn. Auch die Zähne können wir im Detail untersuchen, also wie abgenutzt sie sind und unter welchen Zahnkrankheiten die jeweilige Person gelitten hat. Wir können einen Blick auf die Knochen werfen und haben festgestellt, dass Hornedjitef Arthritis im Rücken hatte, was äußerst schmerzhaft gewesen sein muss.»
    Jüngste Fortschritte in der Wissenschaft haben dafür gesorgt, dass wir über Hornedjitef noch viel mehr herausgefunden haben, als nur, dass er unter Rückenschmerzen litt. Da wir die Wörter auf seinem Sarkophag lesen können, wissen wir über seine gesellschaftliche Stellung ebenso Bescheid wie darüber, wie diese Gesellschaft sich das Leben nach dem Tod vorstellte; mit Hilfe der neuen Techniken aber können wir ermitteln, mit welchen Materialien die Leichen mumifiziert undworaus die Sarkophage gefertigt wurden, und das liefert uns Aufschlüsse darüber, wie das damalige Ägypten wirtschaftlich mit seiner Umgebung verbunden war. Mumien mögen für uns etwas spezifisch Ägyptisches sein, doch wie sich zeigt, reichten die Ressourcen Ägyptens allein für die Mumifizierung nicht aus.
    Wenn wir die bei der Mumifizierung verwendeten Materialien isolieren und überprüfen, können wir anschließend ihre chemikalische Zusammensetzung mit anderen Substanzen vergleichen, die wir in verschiedenen Gegenden des östlichen Mittelmeerraums gefunden haben, und so allmählich die Handelswege rekonstruieren, auf denen Ägypten mit Materialien versorgt wurde. So weisen einige Sarkophage auf ihrer Oberfläche ein schwarzes, teerartiges Harz auf, das sich mittels chemischer Analyse dorthin zurückverfolgen lässt, woher es stammt – vom Toten Meer viele hundert Kilometer nördlich, also aus einer Gegend, die üblicherweise nicht von Ägypten kontrolliert wurde. Dieses Harz muss somit auf Handelswegen nach Ägypten gelangt sein. Einige Sarkophage sind aus teurem Zedernholz gefertigt, das in großen und kostspieligen Mengen im Libanon eingekauft wurde; wenn wir dieses luxuriöse Holz mit Titel und Rang der Menschen abgleichen, deren Sarkophage daraus gemacht sind, bekommen wir ein Gefühl für den ökonomischen Hintergrund im alten Ägypten. Die Art des verwendeten Holzes – aus heimischer Produktion oder importiert, teuer oder billig – wie auch die Qualität der Verarbeitung, die Verzierungen und die Kunstfertigkeit der Malereien auf dem Sarkophag, all das spiegelt Einkommen und gesellschaftliche Stellung des Mumifizierten wider. Stellt man Individuen wie Hornedjitef in solch allgemeinere Zusammenhänge und sieht sie nicht einfach nur als einzelne Überbleibsel aus einer fernen Vergangenheit, sondern als Teil einer ganzen Gesellschaft, dann hilft uns das dabei, eine umfassendere Geschichte des alten Ägypten zu schreiben, als dies bisher möglich war.
    Die meisten Dinge, die Hornedjitef im Sarkophag bei sich hatte, sollten ihn auf der großen Reise ins Jenseits begleiten und ihm dabei helfen, alle absehbaren Schwierigkeiten zu meistern. Was seine Sternenkarte allerdings mit Sicherheit nicht vorhersah, war, dass er letztlich in London landen würde, im Britischen Museum. Sollte das so sein? Sollten Hornedjitef und seine Besitztümer überhaupt hier sein? Solche und ähnliche Fragen werden oft gestellt. Wohin gehören Dinge aus der Vergangenheit heute? Wo werden sie am besten gezeigt? Sollte alles dort ausgestelltwerden, wo es ursprünglich entstanden ist? Das sind wichtige Fragen, und ich werde in diesem Buch immer wieder darauf zurückkommen. Ich habe die ägyptische Schriftstellerin Ahdaf Soueif gefragt, was das für ein Gefühl für sie war, so viele ägyptische Altertümer hier in London zu erleben, so fern der Heimat:
    «Letztlich ist es wahrscheinlich gar nicht so schlecht, wenn ägyptische Obelisken, Steine und Statuen
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