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Eine Evatochter (German Edition)

Eine Evatochter (German Edition)

Titel: Eine Evatochter (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Das erklärt den ganzen Schmuke und die Kindheit der beiden Marien.
    Später wußte kein Mensch, welcher Abbé, welche alte Betschwester den nach Paris verschlagenen Deutschen entdeckt hatte. Sobald die Hausmütter hörten, die Gräfin von Granville hätte für ihre Töchter einen Musiklehrer gefunden, wollten alle seinen Namen und seine Adresse wissen. Schmuke bekam dreißig Häuser im Marais. Sein später Erfolg drückte sich durch Schuhe mit bronzierten Stahlschnallen und Roßhaarsohlen sowie durch häufigeren Wechsel seiner Wäsche aus. Seine harmlose Fröhlichkeit, durch seine edle, verschämte Armut lange unterdrückt, brach wieder hervor. Er machte kleine geistreiche Bemerkungen. Wenn z. B. der Straßenschmutz durch einen Nachtfrost getrocknet war, sagte er: »Meine jungen Damen, heute nacht haben die Katzen den Pariser Schmutz gefressen,« aber er sagte das in einem deutsch-französischen Kauderwelsch: »Montemisselles, lè chas honte manché la grôttenne tan Bâri sti nouitte.« Befriedigt über diese Art von Vergißmeinnicht , das er den beiden Engeln darbot, nahm er beim Überreichen dieser Geistesblüten eine pfiffige, geistreiche Miene an, die den Spott entwaffnete. Er war so glücklich, ein Lächeln auf die Lippen seiner beiden Schülerinnen zu locken, deren unglückliches Dasein er durchschaut hatte, daß er sich freiwillig lächerlich gemacht hätte, wäre er es nicht von Natur gewesen. Aber sein Herz hätte auch den gewöhnlichsten Plattheiten etwas Neues gegeben; er hätte, nach einem schönen Wort des weiland Saint-Martin, mit seinem Lächeln auch den Schmutz vergoldet. Nach einem der edelsten Grundsätze der religiösen Erziehung gaben die beiden Marien ihrem Lehrer achtungsvoll das Geleit bis zur Haustür. Hier sagten ihm die beiden armen Dinger ein paar freundliche Worte, froh, diesen Mann beglücken zu können; konnten sie sich doch nur ihm gegenüber als Frauen erweisen. So wurde ihnen die Musik bis zu ihrer Verheiratung zum zweiten Leben, ebenso wie der russische Bauer seine Träume für Wirklichkeit und sein Leben für einen schlechten Traum halten soll. In ihrem Verlangen, sich all der Erbärmlichkeiten zu erwehren, die sie zu ersticken drohten, und um den ertötenden asketischen Vorstellungen zu entgehen, vertieften sie sich mit Feuereifer in die Schwierigkeiten der musikalischen Technik. Melodie, Harmonie und Komposition, diese drei Himmelstöchter, deren Chorus der alte, musiktrunkene katholische Satyr anführte, belohnten sie für ihre Mühen und umgaben sie mit ihrem schirmenden luftigen Reigen. Mozart, Beethoven, Haydn, Paësiello, Cimarosa, Hummel und die kleineren Talente erweckten in ihnen tausend Gefühle, die zwar die keusche Umfriedung ihrer verhüllten Herzen nicht überschritten, aber in die Schöpfung eindrangen, wo sie ihre Flügel machtvoll entfalteten. Hatten sie einige Stücke tadellos gespielt, so drückten sie sich die Hand, umarmten sich in lebhafter Begeisterung, und ihr alter Lehrer nannte sie seine heiligen Cäcilien. Erst mit sechzehn Jahren gingen die beiden Marien zum Tanzen in ein paar ausgesuchte Häuser und nur viermal im Jahre. Sie verließen den Rockschoß ihrer Mutter erst, nachdem sie Verhaltungsmaßregeln über ihr Benehmen gegenüber den Tänzern erhalten hatten und zwar so strenge, daß sie ihren Herren nur mit Ja oder Nein antworten konnten. Die Gräfin ließ ihre Töchter nicht aus den Augen und schien ihre Worte aus der Bewegung der Lippen zu erraten. Die armen Dinger trugen höchst schickliche Ballkleider, Musselinroben, die bis zum Kinn reichten, mit einer Unzahl von Rüschen überladen und mit langen Ärmeln. Diese Kleidung, die ihre Anmut verbarg und ihre Schönheit verhüllte, gab ihnen eine entfernte Ähnlichkeit mit ägyptischen Mumiensärgen. Immerhin tauchten aus diesen Kattunsäcken zwei entzückend schwermütige Gesichter hervor. Es ergrimmte sie, so oft bemitleidet zu werden. Welches weibliche Wesen, und sei es noch so keusch, möchte nicht Lust erregen? Keine gefährliche, ungesunde oder auch nur zweideutige Vorstellung befleckte also die Blütenweiße ihrer Gedanken. Ihre Herzen waren rein, ihre Hände furchtbar rot, sie platzten vor Gesundheit. Eva ging aus Gottes Händen nicht unschuldiger hervor, als die beiden Mädchen an dem Tage, wo sie das Elternhaus verließen, um zum Standesamt und zur Kirche zu fahren, mit der einfachen, aber furchtbaren Weisung, den Männern, mit denen sie in der Nacht schlafen oder wachen sollten, in allem
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