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Eine ehrbare Familie

Titel: Eine ehrbare Familie
Autoren: John Gardener
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Kiel begonnen hatte.

2
    Als Gustav Steinhauer das Lokal betrat und feststellte, daß es die ordinärste, mieseste, gefährlichste, betrunkenste, hurenreichste Kaschemme des Kieler Hafenbezirks war, dachte der preußische Beamte, daß er vermutlich einen Fehler begangen hatte, und als der riesige Maat einen Streit vom Zaun brach, wußte er es mit Bestimmtheit.
    Er war von Berlin nach Kiel gereist, um den Maat Hans-Helmut Ulhurt zu begutachten, einen riesigen Kerl, aber gut proportioniert, mit Schultern und Armen wie aus Granit gehauen.
    Jeder schien ihn zu kennen und zu bewundern. Steinhauer dachte im stillen, daß er vermutlich genau der richtige Mann für ihn sei. Er war zweifellos viel herumgekommen und wirkte schlau und gewandt.
    Dann plötzlich öffnete sich die Tür, und drei englische, leicht angetrunkene und sehr naiv aussehende Matrosen erschienen.
    Sie waren ebenfalls Maats, vermutlich von der Cornwall, dachte Steinhauer, denn dieses Schulschiff der Königlich Britischen Marine stattete dem Hafen gerade einen Höflichkeitsbesuch ab, obwohl es der Besatzung schwerfallen würde, auf Höflichkeit bei den deutschen Matrosen in Kiel zu stoßen. Jedermann wußte in diesem Mai des Jahres 1909, daß der deutsche Kaiser die Vormachtstellung zur See anstrebte, und so waren schon seit einigen Jahren die englischen und deutschen Werften emsig damit beschäftigt, in einem verbissenen Wettstreit Schiffe zu bauen. Die englische Marine war in deutschen Häfen nicht sehr willkommen, und die Besatzungen britischer Schiffe keine gerngesehenen Gäste, besonders nicht in einer Spelunke wie dem «Büffel».
    Wie um diese feindliche Einstellung unter Beweis zu stellen, senkte sich tiefes Schweigen über den rauchgeschwängerten Raum, und eine unheildrohende Spannung lag in der Luft.
    Die Engländer gingen geradewegs zum Tresen und bestellten sich in gebrochenem Deutsch Schnaps. Steinhauer bemerkte in Sekundenschnelle, daß jeder im Raum auf den großen blonden Ulhurt blickte, und er erinnerte sich, daß dem Mann der Ruf von Gewalttätigkeit vorausging. Sogar der Besitzer drehte sich nach ihm um, so als bitte er den Maat um die Erlaubnis, die Ausländer bedienen zu dürfen.
    Steinhauer sollte sich in den kommenden Jahren noch oft an diesen Augenblick erinnern. Ulhurts Gesicht nahm einen fast sanften, erwartungsvollen Ausdruck an, aber dahinter lauerte etwas Tödliches.
    «So, so, die englische Marine schickt sich jetzt an, die deutsche Sprache zu morden», Ulhurt sprach ein perfektes Englisch, ohne den typisch gutturalen Akzent der Deutschen. Steinhauer war erstaunt und erfreut. Ulhurt schob, noch während er sprach, den Stuhl zurück und stieß mit der Sohle seines großen Stiefels den Tisch um. Er wirkte entspannt, aber Steinhauer hatte Männer wie ihn oft in ähnlichen Situationen beobachtet und wußte daher, daß der Maat fest entschlossen war, die drei Engländer zusammenzuschlagen.
    «Wißt ihr was?» fing Ulhurt an. «Die englische Marine ist Scheiße.» Und mit dieser Feststellung stürzte er sich auf den größten Engländer, versetzte ihm einen Stoß, und seine kräftigen Arme schlugen wie Axthiebe in die Magengrube seines Gegners.
    Eine sekundenlange Stille folgte, dann brach in der Bar die Hölle los. Aber während dieser kurzen Pause schlug einer der anderen Engländer mit einem Stuhl nach Ulhurt. Steinhauer begriff schnell, daß diese drei Männer nur eine Art Vorhut bildeten, denn plötzlich war die Kneipe voll von englischen Matrosen, die mit Fäusten - und zu Steinhauers Entsetzen auch mit Messern - um sich schlugen.
    Steinhauer versuchte, die Eingangstür zu erreichen, wurde aber zur Seite geworfen wie eine lästige Puppe. Den Rest verfolgte er nur noch wie durch einen Schleier.
    Er nahm den ohrenbetäubenden Lärm wahr, die Schmerzensschreie, das Gekreische der Frauen, das Gestöhne dieser Männer, die sich ohne Rücksicht auf Verluste bekämpften, und beobachtete den Maat Ulhurt. Für einen so großen Mann war Ulhurt erstaunlich wendig und flink: ein Straßenkämpfer, ein erfahrener Bar-Krakeeler, der anscheinend fast lässig seine Feinde fertigmachte. Er kämpfte mit Händen, Kopf, Ellbogen, Knien und Stiefeln, gab sich nur selten eine Blöße und war immer auf der Hut vor einem Angriff von hinten.
    Doch allmählich wurde Ulhurt zurückgetrieben, aber hinter ihm war keine Wand, sondern nur der Tresen, und das war sein Verderben.
    Inzwischen warfen seine Gegner nicht mehr nur mit Flaschen, sondern zerbrachen
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