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Eine ehrbare Familie

Titel: Eine ehrbare Familie
Autoren: John Gardener
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weitergehen konnten», sagte er zu Margaret. «Und so griff er nach dem ersten Strohhalm, der sich ihm bot.»
    Ihre Antwort war typisch für ihre Lebenseinstellung: «Zur Hölle mit dem verdammten Giles! Warum hat er sich gerade den armen Charles ausgesucht? Natürlich war er töricht, aber ich mochte ihn. Armer Charles.»
    «Armer Charles, daß ich nicht lache!» James’ Augen nahmen den harten Glanz an, den viele so oft bei Giles beobachtet hatten.
    «Komm zu mir», rief Margaret fröhlich, denn die Übergangsphase, als sie vorsichtig miteinander umgegangen waren, lag hinter ihnen. Jetzt gab es kein Zögern, keine verlegenen Pausen mehr. Sie hatten sich wieder aneinander gewöhnt.
    Caspar sprach vertraulich mit C über die Sache, der, weise wie immer, keine Notizen machte. C war der einzige außerhalb der Familie, der genau Bescheid wußte. «Straße nach Damaskus.» C lächelte nie, wenn er von Giles sprach. «Typische Damaskus-Bekehrung. Denken Sie ein wenig darüber nach, Caspar, und dann können Sie den genauen Moment festnageln. Und in der Zukunft mißtrauen Sie allen Menschen, die plötzlich zu irgend etwas bekehrt worden sind. Ich persönlich hätte den heiligen Paulus, wäre ich der Chef des christlichen Geheimdienstes gewesen, bestimmt beschatten lassen, und zwar längst bevor er stolpernd nach Damaskus kam und brüllte, er sei blind gewesen und Christus sei der Erlöser. Ich hätte Hunde auf ihn gehetzt, ihn bis nach Warminster gepeitscht und ihn dort ausgequetscht, ohne Erbarmen.» Er verfiel in Schweigen und fügte dann, nach längerem Nachdenken, traurig hinzu: «Und genau das hätte ich mit Giles Railton tun müssen, in dem Moment, wo er seine privaten Agenten und sein kleines geheimes Spionagenetz uns zur Verfügung stellte.»
    «Und es war mein Großvater, der den schlauen Roy unterstützte», fügte Caspar düster hinzu.
    Woraufhin C erst mal ein Grunzen von sich gab, und dann sagte er: «Das letzte, was wir von Ihrem kleinen Bruder gehört haben, Caspar, war, daß man ihn in Petrograd verhaftet und fortgeschleppt hat. Vermutlich wurde er noch am selben Tag erschossen. So viele von unseren Leuten in Rußland sind verschwunden. Ich hatte einen furchtbaren Krach mit Giles Railton. Er tat alles, um ein britisches militärisches Eingreifen in Rußland gegen die Bolschewisten zu verhindern. Der DID hatte den gleichen Ärger. Jetzt wissen wir, warum.»

Epilog 
    1935
    Die Wirtschaftsflaute und die Streiks hatten unter anderem zur Folge, daß sich viele Studenten, die in Oxford und Cambridge ein verwöhntes Leben führten, plötzlich für den Sozialismus begeisterten, darunter Giles’ Urenkel Donald, ältester Sohn von James, der 1935 in Cambridge kurz vor der Abschlußprüfung stand.
    «Viel Geschwätz über halb verdautes, sentimentales Zeug», sagte James ärgerlich zu Caspar. Beide hatten inzwischen hohe Positionen im Geheimdienst inne. «Arbeiter aller Länder vereinigt euch! Marschiert unter dem Banner der Freiheit!» Er grunzte höhnisch. «Laß sie marschieren. Laß sie zur Krippe der Revolution pilgern, und dann sollen sie sehen, ob ihnen die Säuberungsaktionen der Freiheit gefallen.»
    «Eine Entwicklungsphase.» Caspar zuckte die Achseln. «Donald hätte sich gut mit dem alten Giles vertragen. Er ist Mitglied der Jungen Sozialisten, nicht wahr?»
    «Ich glaube nicht, daß es so weit geht.»
    Es ging sogar noch weiter, aber weder James noch Caspar wußten, daß Donald nur aufgrund strenger Anweisung nicht der Labourpartei beigetreten war. «Du dienst der Partei besser», hatte ein Freund ihm gesagt, «wenn du deine politischen Ansichten nicht publik machst. Geh nicht auf Arbeiterversammlungen, nimm nicht an Demonstrationen teil. Und vor allem, schließ dich nicht der Kommunistischen Partei an.»
    Im Oktober 1935 lud derselbe Freund Donald in sein Zimmer im Trinity College ein. «Um einen Kameraden zu treffen, der uns instruieren und helfen wird. Er ist englischen Ursprungs, aber lebt schon seit einiger Zeit in der UdSSR.» Der Name dieses Freundes ist in diesem Zusammenhang uninteresssant, aber heutzutage ist er so bekannt wie ein gängiger Markenartikel.
    Donald ging ins Trinity College. Es war ein feuchter, bitterkalter Oktoberabend.
    Der Kamerad aus Rußland hielt seinen sechs Zuhörern eine fast zwei Stunden lange Rede. Er erklärte ihnen, daß sie verstohlen und listig für die Partei agieren müßten, dann forderte er sie auf, Fragen zu stellen. Er war groß und schlank, Mitte Vierzig,
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