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Eine Andere Welt

Eine Andere Welt

Titel: Eine Andere Welt
Autoren: Philip K. Dick
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vergangen und er ein alter Mann wäre, der von der Erinnerung an früheren Ruhm lebte.
Aber so verhielt es sich ganz und gar nicht.
Er kehrte zum Telefon zurück und schlug die Nummer des zentralen Einwohnermeldeamts für Iowa nach; mit mehreren Dollarstücken gelang es ihm nach einigen vergeblichen Versuchen, die Verbindung herzustellen.
»Mein Name ist Jason Taverner«, sagte er zu dem Sachbearbeiter. »Ich wurde am 16. Dezember 1946 im Memorial-Hospital in Chicago geboren. Würden Sie bie nachsehen und mir eine Kopie meiner Geburtsurkunde zuschicken? Ich brauche sie für einen Arbeitsplatz, um den ich mich bewerbe.«
»Ja, Sir. Ich werde sofort nachsehen. Bleiben Sie am Apparat.« Jason wartete, und wenige Minuten später war der Beamte wieder da. »Mr. Jason Taverner, geboren in Chicago am 16. Dezember 1946?«
»Ja«, sagte Jason.
»Wir haben zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort keine Geburt einer Person solchen Namens registriert. Sind Sie ganz sicher, daß die Angaben stimmen?«
»Sie meinen, ob ich meinen Namen weiß und wann und wo ich geboren bin?« Seine Stimme war wieder am Überschnappen, und diesmal ließ er sie gewähren; Panik überflutete ihn. »Danke«, sagte er, ohne weitere Erklärungen des Beamten abzuwarten, und legte auf. Seine Hand zierte jetzt unkontrollierbar. Ich existiere nicht, dachte er. Es gibt keinen Jason Taverner. Es gab nie einen. Zum Teufel mit meiner Karriere; ich will bloß leben. Wenn jemand oder etwas meine Karriere auslöschen will, in Ordnung; von mir aus. Aber soll ich nicht einmal existieren dürfen? Wurde ich nicht mal geboren?
Etwas regte sich in seiner Brust. Mit Entsetzen dachte er, daß es den Chirurgen vielleicht doch nicht gelungen war, die Saugröhren vollständig herauszuholen; daß die eine oder andere von ihnen noch immer in ihm lebe und wachse. Diese verfluchte kleine Schlampe, dieser dumme, talentlose und hinterlistige Trampel. Er wünschte ihr, daß sie als Strichmädchen für zwei Dollar auf der Straße enden würde. Nach allem, was er für sie getan hae! Zweimal hae er ihr die Chance verscha, vor den entscheidenden Leuten zu singen. Aber andererseits hae er o mit ihr geschlafen. Vielleicht war darin ein gewisser Ausgleich zu sehen.
    Wieder im Hotelzimmer, betrachtete er sich eingehend in dem mit Fliegendreck gesprenkelten Frisierspiegel. Sein Aussehen hae sich nicht verändert, außer daß er eine Rasur nötig hae. Nicht älter. Keine neuen Runzeln, kein graues Haar zu sehen. Die kräftigen Schultern und Arme. Die jugendlich schlanke Taille, die ihm erlaubte, modisch anliegende Herrenkleidung zu tragen.
    Diese Dinge waren wichtig, um bei den Fernsehteilnehmern das richtige Vorstellungsbild zu erzeugen. Er mußte an die fünfzig Anzüge haben, dachte er. Aber wo mochten sie jetzt sein? Der Vogel war davongeflogen, und niemand wußte, in welchem Garten er sang. Der Gedanke machte ihn stutzig; er kam aus der Vergangenheit, aus seiner Schulzeit. Vergessen bis zu diesem Augenblick. Seltsam, dachte er, was einem durch den Kopf geht, wenn man in einer unvertrauten und bedrohlichen Situation ist. Manchmal das trivialste Zeug, das man sich vorstellen kann.
    Wenn Wünsche Pferde wären, dann könnten Beler fliegen. Solche Sachen. Verrückt.
Er überlegte, wie viele Polizeiposten und Kontrollstellen zwischen diesem elenden Hotel und dem nächsten Ausweisfälscher in Wa s sein mochten. Zehn? Zwei? Für mich, dachte er trübe, genügt schon eine einzige. Eine willkürliche Überprüfung durch eine Streifenwagenbesatzung. Mit ihrem verdammten Kommunikationsverbund konnten sie die Daten vom Wagen aus bei der Zentrale in Kansas City anfordern, wo alles Material gesammelt wurde.
Er schob den Hemdsärmel zurück und betrachtete den linken Unterarm. Ja, da war sie, seine eintätowierte Personalnummer. Sein Zulassungsschild, das er sein Leben lang mit sich tragen mußte und mit dem er schließlich ins Grab sinken würde.
Nun, angenommen, die Bullen würden seine Personalnummer der Datenzentrale in Kansas City durchgeben – was dann? War seine Akte noch dort, oder war sie auf einmal verschwunden, wie seine Eintragung im Geburtenregister? Und wenn die Unterlagen nicht da waren, welche Schlüsse würden die Bürokraten daraus ziehen?
Vermutlich lag nur ein Irrtum vor. Jemand hae die Karteikarte mit den Mikrofilmen, aus denen die Personalakte eines Bürgers bestand, falsch eingeordnet. Früher oder später mußte sie wieder auauchen, in fünf oder zehn Jahren vielleicht, wenn es
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