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Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)

Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)

Titel: Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)
Autoren: Ben Aaronovitch
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lassen.
    Plattform 3 war nach dem alten Cut-and-Cover-Verfahren gebaut worden, bei dem man ein paar Tausend Navvies – Eisenbahnbauer – einen verdammt tiefen Graben ausheben ließ, am Grund ein paar Gleise verlegte und oben wieder ein Dach drüberbaute. Da man damals noch Dampfloks einsetzte, war die Hälfte der Station nach oben offen, um den Dampf raus- und das Wetter reinzulassen.
    Einen Tatort betritt man ganz ähnlich wie einen Club – wer nicht auf der Liste steht, hat beim Türsteher schon verloren. Die Liste war in diesem Fall Teil des Tatortprotokolls, die Rolle des Türstehers hatte ein streng dreinblickender BTP-Constable inne. Ich nannte ihm meinen Namen und Rang, und er schielte den Bahnsteig hinunter, wo eine kleine stämmige Frau mit unvorteilhaftem Bürstenhaarschnitt stand und uns finster anblickte. Das war Miriam Stephanopoulos, ihres Zeichens seit kurzem Detective Inspector, und ich begriff, dass das hier ihr erster Fall in ihrem neuen Rang war. Wir hatten schon einige Male zusammengearbeitet – das war vermutlich der Grund dafür, warum sie zögerte, bevor sie dem Constable zunickte. So bekommt man nämlich auch Zugang zu einem Tatort. Wenn man das Management kennt.
    Ich schrieb mich ins Logbuch ein und nahm mir einen der Plastikoveralls, die über der Lehne eines Klappstuhls hingen. Dem Anlass entsprechend gekleidet trat ich dann zu Stephanopoulos hinüber, die Aufsicht über den Beweissicherungsbeamten führte, welcher seinerseits die Spurensicherer beaufsichtigte, die über das äußere Ende des Bahnsteigs wuselten.
    »Morgen, Boss. Sie haben angerufen?«
    »Peter«, sagte sie. In der Met geht das Gerücht, in einem Einmachglas neben ihrem Bett bewahre sie eine Sammlung menschlicher Testikel auf – Andenken an all die Männer, die so unklug waren, sich auf erheiternde Weise zu Stephanopoulos’ sexueller Orientierung zu äußern. Zudem gibt es Gerüchte, sie besitze jenseits der North Circular Road ein großes Eigenheim, in dem sie mit ihrer Partnerin Hühner züchtet, aber bisher habe ich noch nicht den Mut aufgebracht, sie danach zu fragen.
    Der Bursche, der tot am Ende von Plattform 3 lag, hatte wohl einmal ganz gut ausgesehen, aber damit war es vorbei. Er lag auf der Seite, den Kopf auf den ausgestreckten Arm gebettet, mit gekrümmtem Rücken und angezogenen Beinen. Nicht ganz das, was die Pathologen als Embryostellung bezeichnen. Es wirkte eher wie die stabile Seitenlage.
    »Wurde er bewegt?«, fragte ich.
    »Der Stationsleiter hat ihn so gefunden«, sagte Stephanopoulos.
    Seine Kleidung bestand aus modisch gebleichten Jeans und einem marineblauen Jackett über einem schwarzen Kaschmir-Rollkragenpulli. Das Jackett war aus teurem Stoff und saß perfekt – maßgeschneidert. Seltsamerweise trug er dazu ein Paar Doc Martens vom klassischen 1460er-Typ, also Stiefel, keine Schuhe. Sie waren von den Sohlen bis zum dritten Schnürloch schlammverkrustet. Das Leder über der Schmutzgrenze war mattiert, weich, ohne Risse – praktisch brandneu.
    Er war weiß, bleiches Gesicht, gerade Nase, kräftiges Kinn. Wie gesagt, wahrscheinlich recht gut aussehend. Seinhelles Haar war zu Emofransen geschnitten, die ihm strähnig in die Stirn hingen. Die Augen waren geschlossen.
    All diese Details hatten sich Stephanopoulos und ihr Team sicherlich schon notiert. Während ich neben der Leiche in die Hocke ging, wartete ein halbes Dutzend Spurensicherer um mich herum darauf, von allem, was nicht nietund nagelfest war, eine Probe einzusacken, während ein zweiter Trupp mit Schneidwerkzeugen hinter ihnen systematisch alles, was niet- und nagelfest war, abmontieren würde. Meine Aufgabe war anders geartet.
    Ich legte Mundschutz und Schutzbrille an, führte mein Gesicht so nah wie möglich an die Leiche heran, ohne sie zu berühren, und schloss die Augen. An menschlichen Körpern verflüchtigen sich Vestigia sehr schnell, aber Magie, die stark genug ist, um jemanden direkt zu töten – falls das der Fall gewesen sein sollte –, ist auch stark genug, um eine Spur zu hinterlassen.
    Mit meinen normalen Sinnen nahm ich Blut, Staub und einen Uringeruch wahr, der diesmal eindeutig nicht von Füchsen stammte. Mit der Leiche verknüpfte Vestigia gab es, soweit ich es beurteilen konnte, keine. Ich zog mich zurück und sah mich nach Stephanopoulos um. Sie runzelte die Stirn.
    »Warum haben Sie mich angerufen?«, wollte ich wissen.
    »Irgendwas an der Sache hier ist faul«, erwiderte sie. »Ich dachte, ich rufe Sie
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