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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz
Autoren: Robert Goolrick
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trank Whiskey bis zur Bewusstlosigkeit, und alle schauten ihm dabei zu, alle, die in dieser Nacht aufwachten, schauten ihm zu. Und als er zu sich kam und es immer noch dunkel war, und er zwar betrunken, aber nicht betrunken genug war, ging er ins Haus, holte sich noch mehr Whiskey und trank, bis er wieder die Besinnung verlor, und so verbrachte er seine Tage, in einem Schmerz, der öffentlich war, einer Kakophonie aus Trauer und Suff. Tag für Tag und Nacht für Nacht saß er da und trank und trank, nichts konnte ihn davon abhalten, und alle wussten es, und die Frauen begannen ihm Essen zu bringen und die Männer Schnaps, und manchmal besuchten ihn die Zwillingsschwestern und setzten sich eine Weile zu ihm, saßen einfach nur da, denn sie wussten, es gab keinen Trost, den sie ihm hätten spenden können, so tief war dieser Kummer, so freigiebig war dieser liebenswerte junge Mann mit seinem Herzen gewesen. Es gab keine Ablenkung von dem, was geschah, und so leisteten sie ihm Vorschub, weil sie zwar dachten, sie sollten es besser nicht tun, aber wussten, dass es für sie als Christen nichts anderes zu tun gab, und so dauerte es ganze sieben Wochen, bis sich der Junge zu Tode getrunken hatte, auf einer offenen Veranda mitten in der Stadt, alle schauten
ihm dabei zu, und bis dahin hatte sich Harrison Boatwright Glass bereits eine neue Braut gekauft, eine echte Rothaarige, die mitten in eine Situation hinein kam, von der sie nichts wusste, die die Rolle als zweite Ehefrau übernahm und versuchte, das Beste daraus zu machen, die rothaarige Schönheit, die nicht eins und eins zusammenzählen konnte, und sie war die neue Ehefrau, und der Bruder Ned war tot, es war Winter, und der Schnee fiel auf die Gräber von Sylvan Glass und Charlie Beale, die Gräber, die niemand besuchte, niemals mehr, und das war das Ende der Geschichte. Beinahe das Ende der Geschichte.

31. KAPITEL

    W ir sind heute Morgen hier angekommen …«, sagte der Mann.
    »Sie kamen hierher, weil Sie, wie alle, die hierher kommen, sich beim Friseur die Haare haben schneiden lassen, oder weil Sie drüben auf der Kräuterfarm ein paar Lavendelsäckchen gekauft haben, und der Friseur oder der Metzger hat gesagt, sein Sohn sei ein richtiger Beebo, und das hatten Sie noch nie gehört, und Sie wollten wissen, was das bedeutet, und man hat Ihnen gesagt, Sie sollen mich fragen. Sie haben Ihnen gesagt, ich sei hier. Und ich hätte ihn gekannt.«
    »Ja«, sagte der Mann. »So war es. Beim Friseur.«
    Sie sitzen mir gegenüber, der Anwalt und seine Frau, sie haben den ganzen Tag hier gesessen, und es ist spät, und es ist kein Kaffee mehr da, ich kann riechen, wie der Rest in der überhitzten Kanne anbrennt, und entrahmte Milch gab es sowieso nicht mehr, und sie wollen es wissen. Sie wollen es alle wissen. So eine einfache Sache, oder wenigstens haben sie das gedacht, als sie zur Tür hereinkamen. Aber sie können es nicht wissen, sie können es nicht verstehen, wenn sie nicht die ganze Geschichte kennen.
    »In jener Nacht habe ich nicht geschlafen, ich hab kein Auge zugetan. Niemand tat das. Bevor der Morgen graute,
stand ich auf, und nur ganz oben an der Straße brannte Licht, dort, wo der Bruder im Dunkeln saß und trank.
    Ich zog mich an, damals war es kalt, der Winter war da, und so warf ich mir einen Mantel über und schlich die Treppe hinunter, damit meine Eltern mich nicht hörten, und ich lief durch die Stadt zum Friedhof, an all den Häusern vorbei, wo die Vorhänge und die Rollläden immer noch geschlossen waren, denn ich wollte es sehen. Ich musste einfach wissen, wo er war.
    Als ich zum Friedhof kam, wurde es bereits hell, und ich konnte durch die Gitterstäbe des Zauns schauen, quer über die Gräber hinweg, bis zu dem neuen Grab, und das musste ihres sein, aber ich wollte es genau wissen. Es gab nur dieses eine frische Grab auf dem Friedhof, also musste er woanders sein.
    Ich umrundete die ganze Mauer, ganz nah an der Wand ging ich vorbei, ich spürte die Kälte der Steine, und es war ein langer Weg. Es war ein alter Friedhof, auf dem schon seit zweihundert Jahren Menschen begraben wurden, weshalb er groß war, und der Weg schien mir sehr, sehr lang zu sein.
    Doch dann sah ich es, und im selben Moment sah ich sie. Claudie stand im Dunkeln, in Schwarz, ohne Mantel, aber mit einem Schleier vor dem Gesicht. Neben ihr stand ein weißes Mädchen, das ich noch nie gesehen hatte und das ich nie wieder sehen würde. Sie hielten Stoffballen in der Hand  –
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