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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz
Autoren: Robert Goolrick
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hatte, um die Vergehen seines Bruders, für die er jetzt schon berühmt war und die nicht mit ihm sterben würden.
    Dann hob er sich den Leichnam seines Bruders auf die Schultern, den schweren Anzug, den leichten, aber reglosen Körper, seine nackten Füße, und versuchte ihn in den Sarg zu befördern, doch in dem Moment merkte er, dass die Augen
seines Bruders immer noch offen standen, und er versuchte sie zu schließen, doch das ging nicht, und er hatte auch keine kleinen Münzen, um sie auf die Lider zu legen, und so schaute Charlie, während Ned den Sarg zunagelte, ein Brett nach dem anderen, in die einbrechende Dämmerung, auf dem Gesicht einen Ausdruck, der immer noch an ein in seiner Angst erstarrtes Tier erinnerte, der Angst eines Tieres, kurz bevor die Waffe abgedrückt wird, für immer und ewig, Amen.
    Die Sonne stand bereits tief über den Bergen im Westen, und er zog den Sarg bis zum Pick-up, bekam ihn irgendwie hoch auf die Ladefläche, und dann fuhr er in die Stadt, und während er sie durchquerte, schlossen die Menschen, zurück von dem Begräbnis einer Frau, die sie nicht geliebt hatten, die Vorhänge, Jalousien und Rolläden vor dem Leichnam eines Mannes, den sie geliebt hatten, damit sein Geist ihre Häuser nicht heimsuche und darin spuke, als wäre er immer noch am Leben, als bitte er sie noch immer auf seine sanfte Art um Vergebung, die sie ihm gewähren würden, doch heute nicht, nicht heute Nacht, nicht, solange sie unter dem Befehl der Männer auf den Kanzeln standen.
    Ned fuhr zum Friedhof, nicht schnell, nicht langsam, er fuhr einfach, und er parkte vor dem Tor, das bereits für die Nacht verschlossen war, und spähte in den Friedhof hinein, um zu sehen, ob er das Grab von Sylvan Glass erkennen konnte, und da war es, zu erkennen an einem einzigen Rosenstrauß vom Kiwanis Club, und er trommelte mit den Fäusten ans Tor, bis seine Hände bluteten, rüttelte an dem verrosteten Stahl, aber niemand machte auf und niemand kam, niemand hörte ihm zu, obwohl ihn doch alle hörten, die ganze Stadt. Und so zog er den Sarg von der Ladefläche, ließ ihn grob auf den Boden fallen, weil er zornig war,
weil er zornig und sprachlos war vor Kummer und vor Einsamkeit, weil er all das ganz allein durchstehen musste, ein Junge, ein junger Zimmermann, der nicht einmal sein Bestes hatte tun können, um seinen Bruder zu begraben, nur eben das, was er konnte.
    Er zog den Sarg um die hohe Mauer des Friedhofs, bis er zu einem freien, leeren Platz an der Straße kam, ganz in der Nähe von der Stelle, wo Sylvan lag, und dann sagte er laut »Scheiß drauf«, ging zum Pick-up zurück, holte eine Schaufel und begann nahe der Wand zu graben, die Charlie Beale von Sylvan Glass trennte, und es dauerte lange. Einmal hielt er inne, weil er dachte, es sei tief genug, doch dann sah er in dem dämmrigen Licht, das langsam immer schwächer wurde, dass es noch nicht genug war, und so sprang er in die Grube zurück und grub, bis es dunkel war. So musste es eben reichen, und er spürte, wie eisig die kalten Wände des Grabes seines Bruders waren, und dann ließ er den Sarg hineingleiten und begann das Grab wieder zuzuschaufeln, und bei jedem dumpfen Rieseln, mit dem eine Schaufel Erde auf den Sarg traf, zuckte er zusammen, als hätte ihn jemand ins Gesicht geschlagen, wieder und wieder.
    Als ihm die Erde im Grab seines Bruders bis zum Bauch stand, warf er die Schaufel auf die Straße und kletterte hinaus, und dann begann er, die Erde mit den Füßen hinein zu scharren, als hätte er gerade eine Reihe Kartoffeln gepflanzt, und er scharrte und schob, bis sich ein flacher Hügel gebildet hatte, nicht höher als sein Schienbein, und er hielt inne, versuchte sich an ein paar Worte zu erinnern, die er hätte sagen können, ein paar Worte, die anders und wahrer gewesen wären, als diejenigen, die man am Grabe von Sylvan gesprochen hatte. Er sprach von Blut, von den Banden des Blutes, und er sprach von Schmutz und von den Tieren,
und von schlagenden Herzen, den schlagenden Herzen von Brüdern.
    Und dann war es getan, es war vorbei, und Charlie war zur letzten Ruhe gebettet, wenn man überhaupt von Ruhe reden konnte, und Ned hob seine Schaufel vom Straßenrand auf, achtsam selbst in diesem Moment, weil er mit seinem Werkzeug immer so umging, und dann fuhr er nach Hause, zurück zu dem einzigen Haus, das Charlie noch gehörte, setzte sich auf die Veranda, bei eingeschaltetem Licht, zurückgelehnt in einen alten Stuhl aus Peddigrohr, und er
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