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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz
Autoren: Robert Goolrick
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als sie starb, zuckte er nicht mit der Wimper. Wahrscheinlich wusste er, von wem das Kind war, so wie es jeder in der Stadt wusste, aber das war ihm mittlerweile egal.
    Er wollte sie in einem der alten Kittel beerdigen, die er im
Schrank gefunden hatte, doch dann tauchte diese Negerin mit irgendeinem Fummel auf, den sie für sie genäht hatte und den Sylvan nie getragen hatte. Es war aberwitzig, aber warum auch nicht. Schuhe sollte sie allerdings keine tragen. Er fand, sie könne als die barfüßige Landpomeranze aus der Welt gehen, die sie nun mal war.
    Boaty wollte sie gleich am nächsten Tag beerdigen lassen, ohne dass sie noch einmal jemand würde sehen können, denn ihr Körper war sowieso geschunden, das Gesicht aufgeschlagen vom Fall von der Treppe, und er wollte, dass sie so bald wie möglich unter die Erde kam und am nächsten Tag, ehe es dunkel wurde, aus seinem Leben verschwunden war. Er wollte, dass sie auf dem Stadtfriedhof zu Grabe getragen wurde, allerdings möglichst weit weg von seiner eigenen Familie, und da ihre eigenen Leute dort nicht begraben waren  – Gott, wo waren sie eigentlich begraben? Auf irgendeinem Acker in Arnold’s Valley?,  – musste sie irgendwo am Rand ihren Weg in die Ewigkeit antreten, möglichst weit weg von den Menschen, die über ihr standen. Aber er ging nicht im Dunkeln hinüber, um eine Stelle für sie auszusuchen. Es war ihm einfach nicht wichtig.
    Boaty hatte sowieso nicht vor, sich groß um ihr Grab zu kümmern, und so war es ihm gleichgültig. Irgendeine Grabstelle, die frei war, würde den Zweck erfüllen.
    Charlies Leiche blieb die ganze Nacht draußen liegen. Es herrschte bereits Frost. Es war nicht einmal jemand da, der die Totenwache hielt, aber wer hätte das auch sein sollen? Alma lag im Bett und trauerte; Will saß bei seinem Sohn Sam, den nächtliche Ängste quälten und schier verrückt machten. Will tröstete ihn, so gut er konnte, er tat, was in seiner Macht stand, doch nichts half, Sams Ängste konnten weder durch Berührung noch durch Worte oder Gebete gelindert
werden; Jackie zuckte bei jedem Geräusch zusammen, denn er hatte immer noch den Blutgeruch in der Nase; die ganze Stadt war aufgewühlt, traurig, aber irgendwo auch erregt, berührt vom gewaltigen Ausmaß der Tragödie, die da direkt bei ihnen im Hinterhof stattgefunden hatte; Ned saß betrunken im Haus und weinte, so wie er wohl für den Rest seines Lebens weinen würde. Selbst der Leichenbeschauer wollte Charlie nicht berühren. Besudelt, sagten die Priester. Verdammt.
    Die Geistlichen ermahnten ihre Gemeinden in hastig zusammengerufenen Gebetsrunden, dass Sylvan ermordet worden und damit, in den Augen Gottes, ein unschuldiges Opfer sei, weshalb sie auch in geweihter Erde bestattet werden könne. Charlie hingegen sei sowohl ein Mörder als auch ein Selbstmörder, beides Dinge, die ihn zur Hölle verdammten und seine Beerdigung auf dem städtischen Friedhof unmöglich machten. Nein, er konnte unmöglich bei den Frommen beerdigt werden, die in den Himmel kamen, und kein gläubiger Mensch durfte ihn berühren, ohne Gefahr zu laufen, ihm ins ewige Höllenfeuer zu folgen. Die Frauen glaubten den Priestern, und die Männer hörten ihnen wenigstens zu, und dann taten sie, wie ihnen geheißen.
    Und so gab es nur noch Ned, und niemand außer ihm selbst war sich sicher, ob er das ganz allein schaffen konnte. Bei einigen Dingen weiß man einfach, wie man sie macht, auch wenn man sie noch nie getan hat. Wie man sein eigen Fleisch und Blut unter die Erde bringt, ist eine dieser Sachen. Und Ned war Zimmermann, weshalb er es nicht nur einfach in seinem Herzen wusste, sondern bis zum letzten Zoll Holz und zum letzten Nagel.
    Er ging zum Sägewerk und bestellte das, was er brauchen würde. Charlie Austin stellte alles zusammen und gab es
ihm einfach, kostenlos, ohne auch nur einen Cent zu berechnen, denn das war das mindeste, was er tun konnte, und ganz gewiss würde es ihn nicht in die Hölle bringen, wenn er diesem armen, hilflosen Jungen, dessen Trauer wie ein Amboss auf ihm lastete, ein paar Dinge aus seinem Lager schenkte. Der Junge fuhr zurück zum Haus und holte den einzigen Anzug, den Charlie besaß und den er vor Gericht getragen hatte. Er nahm ihn aus dem Schrank, den Alma im Jahr zuvor bei einer der Versteigerungen ergattert hatte, damals, als alles gerade begonnen hatte, doch bevor wirklich etwas begann, damals, als es noch leere Räume und volle Herzen und leuchtende Hoffnung und eine
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