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Ein verhängnisvolles Versprechen

Ein verhängnisvolles Versprechen

Titel: Ein verhängnisvolles Versprechen
Autoren: H Coben
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des Zugs – das alles trat in den Hintergrund.
    »Bitte«, flüsterte das vermisste Mädchen. »Sie dürfen niemandem sagen, dass Sie mich gesehen haben.«
    Dann stieg das Mädchen in die U-Bahn. Edna lief ein Schauer über den Rücken. Die Türen schlossen sich. Edna wollte etwas tun, irgendetwas, konnte sich aber nicht von der Stelle rühren. Wieder sah sie dem Mädchen in die Augen.
    »Bitte«, wiederholte das Mädchen tonlos durch die Scheibe.
    Und dann verschwand der Zug in der Dunkelheit.

2
    In Myrons Keller saßen zwei Mädchen.
    Damit hatte alles angefangen. Hinterher, wenn Myron auf die Verluste und die gebrochenen Herzen zurückblickte, würden seine Gedanken auf diese erste Reihe von Was-wäre-wenns zurückkommen und ihn um den Schlaf bringen. Was wäre gewesen, wenn er kein Eis gebraucht hätte? Was wäre gewesen, wenn er die Kellertür eine Minute früher oder später geöffnet hätte? Was wäre gewesen, wenn die beiden Teenager – was machten die überhaupt in seinem Keller? – geflüstert hätten, und er sie nicht verstanden hätte?
    Was wäre gewesen, wenn er sich nur um seine eigenen Angelegenheiten gekümmert hätte?
    Myron stand oben auf der Treppe und hörte die beiden Mädchen kichern. Er blieb stehen und überlegte kurz, ob er die Tür
schließen und sie in Ruhe lassen sollte. Der Rest seiner kleinen Abendgesellschaft hatte nicht mehr viel Eis, ein bisschen war aber schon noch da. Er konnte auch in ein paar Minuten zurückkommen.
    Bevor er sich jedoch abwenden konnte, wehte eine Mädchenstimme wie Rauchschwaden die Treppe herauf. »Dann bist du mit Randy gekommen?«
    Die andere: »Oh mein Gott, wir waren so betrunken.«
    »Vom Bier?«
    »Bier und Schnaps, ja.«
    »Wie seid ihr nach Hause gekommen?«
    »Randy ist gefahren.«
    Myron erstarrte.
    »Aber du hast doch gesagt …«
    »Pst.« Dann: »Hallo, ist da jemand?«
    Erwischt.
    Myron trottete langsam die Treppe hinab. Er pfiff dabei. Mr Unbekümmert. Die beiden Mädchen saßen in Myrons früherem Schlafzimmer. Der Keller war 1975 ausgebaut worden, und genauso sah er auch aus. Myrons Vater, der jetzt in einer Eigentumswohnung in der Nähe von Boca Raton in Florida Däumchen drehte, war ein großer Freund des doppelseitigen Klebebands gewesen. Die Tapete mit dem Holzimitat-Aufdruck – ein Anblick, dem der Zahn der Zeit ebenso wenig anhaben konnte wie dem Betamax-Video – löste sich an mehreren Stellen von der Wand ab. Darunter kam bröckelnder Putz zum Vorschein. Die Bodenfliesen, die mit Alleskleber befestigt worden waren, hatten kleine Wellen geschlagen. Beim Betreten knirschte es, als zertrete man Käfer.
    Die beiden Mädchen – das eine kannte Myron schon, seit es auf der Welt war, dem anderen war er heute zum ersten Mal begegnet  – sahen ihn an. Sie rissen die Augen auf. Einen Moment lang sagte keiner etwas. Er winkte ihnen kurz zu.
    »Hey, Mädels.«

    Myron Bolitar war stolz auf seine coolen Sprüche.
    Die beiden waren im letzten High-School-Jahr und auf eine jugendlich-unsichere Art hübsch. Die eine, die auf der Ecke seines alten Betts saß, und die er vor einer Stunde zum ersten Mal gesehen hatte, hieß Erin. Myron ging seit zwei Monaten mit ihrer Mutter Ali Wilder aus, einer Witwe und freien Journalistin. Diese Party in diesem Haus, in dem Myron aufgewachsen war und das jetzt ihm gehörte, war gewissermaßen ihr Coming-out, mit dem Myron und Ali im Freundeskreis offiziell bekannt gaben, dass sie ein Paar waren.
    Das andere Mädchen, Aimee Biel, ahmte sein Winken und seinen Tonfall nach: »Hey, Myron.«
    Schweigen.
    Aimee Biel hatte er zum ersten Mal am Tag nach ihrer Geburt im St. Barnabas Hospital gesehen. Aimee und ihre Eltern, Claire und Erik, wohnten nur zwei Blocks von ihm entfernt. Myron kannte Claire noch aus der Heritage Middle School, die nur gut fünfhundert Meter von ihrem jetzigen Aufenthaltsort entfernt lag. Myron sah Aimee an. Einen Moment lang fühlte er sich mehr als 25 Jahre in die Vergangenheit zurückversetzt. Aimee sah ihrer Mutter sehr ähnlich, und sie hatte auch das gleiche verschmitzte Was-kostet-die-Welt-Grinsen.
    »Ich wollte nur ein bisschen Eis holen«, sagte Myron. Er unterstrich diese Worte, indem er mit dem Daumen auf den Gefrierschrank deutete.
    »Cool«, sagt Aimee.
    »Sehr cool«, sagte Myron. »Eiskalt, um genau zu sein.«
    Myron gluckste – als Einziger.
    Myron behielt sein idiotisches Grinsen bei und sah Erin an. Die senkte den Blick. Im Prinzip entsprach das dem Verhalten, das sie
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