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Ein unverschaemt charmanter Getleman

Titel: Ein unverschaemt charmanter Getleman
Autoren: Loretta Chase
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stand ihm jedoch noch eine höchst vergnügliche Abendunterhaltung mit Mr. Oldridge bevor.

2. KAPITEL
    Wenngleich Alistair noch nie Anspruch auf überragende geistige Fähigkeiten erhoben hatte, so war er doch durchaus in der Lage, eins und eins zusammenzuzählen, und das an sich recht schnell.
    Heute jedoch schien sich alles gegen ihn verschworen zu haben. Gemessen an den indiskutablen Maßstäben von Miss Oldridge, mochte er für ein abendliches Essen auf dem Lande elegant genug gekleidet sein. Doch er wusste es besser.
    Dank der gewissenhaft arbeitenden Dienerschaft und eines prasselnden Kaminfeuers war seine Kleidung nun zumindest trocken und ordentlich abgebürstet. Aber es war Kleidung für den Nachmittag, und auch die eifrigsten Diener konnten daraus keine angemessene Abendgarderobe zaubern.
    Zudem fand sich keine Zeit mehr, seine Halsbinde frisch zu stärken. Schlaff hing sie herab und warf an den falschen Stellen Falten, was ihn schier wahnsinnig machte.
    Sein Bein, welches das feuchte Klima hasste und eigentlich in Marokko hätte leben müssen, rächte sich derweil dafür, dass er es im eisig kalten Nebel spazieren geführt hatte, und schnürte sich zu einem Strang pulsierender Knoten zusammen.
    All diese Ärgernisse hatten dazu beigetragen, dass ihm bislang nicht bewusst geworden war, was jeder halbwegs intelligente Mensch schon Stunden zuvor gemerkt hätte.
    Miss Oldridge hatte von Stempeln und Staubgefäßen gesprochen und ihn gefragt, ob er „etwas Botanisches“ sei. Alistair hatte den Wintergarten gesehen, die Notizbücher, die endlosen Reihen der Gewächshäuser.
    Aber wenn er nicht gerade einen Anfall wegen seiner Kleidung hatte oder von seinem Bein gequält wurde, war er wegen Miss Oldridge völlig durcheinander gewesen. Und deshalb ging es ihm erst auf, als sie sich vor dem Essen im Salon trafen und Mr. Oldridge ihm Hedwigs Beobachtungen zu den Fortpflanzungsorganen der Moospflanzen erklärte - der Mann war das Opfer einer fixen Idee.
    Alistair war dieses Krankheitsbild nicht unbekannt. Immerhin hatte er eine evangelistische Schwägerin und eine Cousine, die versuchte, den Stein von Rosetta zu entziffern. Da solche Menschen nur selten aus eigenem Antrieb ihren bevorzugten geistigen Aufenthaltsort verließen, musste man sie fest am Ellenbogen packen - bildlich gesprochen - und in andere Gefilde führen.
    Sobald sein Gastgeber zu Beginn des zweiten Gangs seine Ausführungen unterbrach, um sich auf das Anschneiden der Gans zu konzentrieren, ergriff Alistair daher rasch die sich ihm bietende Gelegenheit.
    „Ich bin beeindruckt, über welchen Fundus an Wissen Sie verfügen“, meinte er. „Ich wünschte, Sie hätten uns mit Ihrem Rat zur Seite gestanden, bevor wir den ersten Entwurf des Kanals vorstellten. Doch ich hoffe, dass Sie uns von nun an beraten werden.“
    Mr. Oldridge fuhr fort, das Geflügel zu zerlegen, spitzte lediglich kurz die Lippen und runzelte nachdenklich die Stirn.
    „Wir sind natürlich gern bereit, den Verlauf des Kanals zu ändern, wenn das Ihr dringlichstes Anliegen ist“, fuhr Alistair fort.
    „Könnten Sie ihn nicht in eine andere Grafschaft verlegen?“, schlug Miss Oldridge vor. „Vielleicht nach Somersetshire, wo Schlackenhaufen bereits die Landschaft verunstalten.“
    Alistair sah sie über den Tisch hinweg an, was er von nun an tunlichst vermied, da er erstmals ihre Abendgarderobe erblickte.
    Die Farbe ihres Kleides war ein kühles Lavendelblau, obwohl sie doch nur warme, kräftige Farben tragen dürfte! Es hatte keinen nennenswerten Ausschnitt, und ein Besatz aus Spitzenrüschen verdeckte auch noch das wenige, was das Oberteil von Hals und Schultern sehen ließ. Ihr herrliches Haar war wahllos aufgesteckt und hinten am Kopf recht ungeschickt zu einem Knoten zusammengefasst. Als Schmuck trug sie eine Kette mit einem schlichten Silbermedaillon.
    Alistair fragte sich, wie es ihr möglich war, in den Spiegel zu blicken und dabei das Offensichtliche nicht zu sehen - alles, was sie ausgewählt und getan hatte, um sich zu kleiden und zu schmücken, war ein einziger, wahrhaftiger, unverzeihlicher Fehlgriff! Es musste ihr an einer Fähigkeit mangeln, über die alle anderen Frauen dieser Welt verfügten. Er überlegte, ob es sich dabei vielleicht um eine Störung handelte, die der Unmusikalität verwandt war, und ihr Anblick löste bei ihm dieselbe Irritation aus, wie ein Musikliebhaber sie verspüren musste, wenn er ein verstimmtes Instrument hörte oder einen Sänger,
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