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Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman

Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman

Titel: Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman
Autoren: Christoph Maria Herbst
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Schlundorgel vom Schlachtensee.
    Weitere vier Stunden später
    Mir ist ein Beautycase auf den Kopf gefallen. Kein Zweifel, wir sind gelandet. Auch eine Methode, sich wecken zu lassen.
    Zum Glück wusste ich nicht bereits beim Start, dass das Fach über mir nicht richtig schließt. Bestimmt hätte ich den ganzen Flug über auf die noch so kleinsten Geräusche gehört, und die der Mücke zu denen des Elefanten gemacht. Was soll’s? Es scheint weder ein Triebwerk abgefallen noch auf halber Strecke die Gepäckraumklappe aufgegangen zu sein, wir haben festen Boden unter den Füßen und mein Blick durch eines der Fensterchen fällt weder auf weißen Schaum noch blau blitzendes Licht.
    Wow. Panama.
    Gaanz typisch, was ich da draußen sehe: Typisch panamaische Häuser, typisch panamaisch aussehende Panamaer, Panama-Hüte tragende, echte panamaische Zigarren schmauchende Herren und dort drüben, diese in der Ferne funkelnden Lichter, sind unverkennbar die des Panama-Kanals. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich …
    »Herzlich Willkommen in Guatemala! Zu Ihrer eigenen Sicherheit möchten wir Sie bitten, noch so lange angeschnallt sitzen zu bleiben, bis wir unsere endgültige Parkposition erreicht haben. Vielen Dank! Alle Gäste, die nach Panama weiterfliegen, möchten wir bitten, in den Transiträumen zu warten!«
    Gaanz typisch Guatemala, klar, eindeutig, ich meine auch, es röche hier ganz vorzüglich nach Kaffee und Bananen!
    Wow. Guatemala.
    Ich brauch jetzt erst mal ein frisch gebrühtes Heißgetränk, das meine Lebensgeister wiedererweckt, bevor mich irgendjemand anspricht.
     
    »Hi, Christoph!«,
    höre ich plötzlich in meinem Rücken, der sich lang gemacht hat, damit ich an mein verstautes Handgepäck komme. Wieder ist es mein Ordner »Bekannt«, der unmittelbar durch ein Pop-up-Fenster auf sich aufmerksam macht, doch so ganz möchte ich noch nicht glauben, dass ich diese Stimme kenne. Merkwürdig gescheppert, geradezu klirrend, klingt sie. Als ich mich umdrehe, sehe ich in das aufgequollene und komplett zugepiercte Gesicht einer Frau mit scharlachroter Struwwelpeter-Frisur, deren Name mir nur deshalb einfällt, weil sie sich, für ihre Verhältnisse lasziv, mit der Zunge über die Unterlippe fährt.
     
    »Hey, Christine!«
    »Christi
a
ne!«
     
    Werde ich mit einem leicht verletzten, vor allem aber maßregelnden Ton verbessert, und das Rot im Weiß ihrer Augen und die gepresst angesaugte Luft beim Einatmen lassen keinerlei Irrtum zu: die Ex-Orgel steht vor mir. Mitten auf dem Rollfeld von Guatemala-Stadt muss ich Schlundi begegnen. Sie sieht aus, als hätte sie die letzten zehn Jahre durchgemacht, aber wer weiß, vielleicht hat sie.
     
    »Klar. Christi
a
ne! ’tschuldige, bin noch ein bisschen … benommen!«
     
    Sie übergeht meine Entschuldigung.
     
    »Gibst du mir mal mein Beautycase?«
     
    Ich beiß mir auf die Zunge, um sie nicht zu fragen, was ausgerechnet
sie
damit anfangen will.
     
    »Gern«,
     
    lüge ich sie rotzfrech an und greife nach meinem »Wecker«, den sie mir einen Hauch zu grapschig aus der Hand reißt, als habe sie Angst, ich könnte den Deckel öffnen und dann Trophäen oder Pröbchen vergangener Orgien entdecken. Für eine Sekunde wird mir fürchterlich übel, schnell aber schlucke ich alles, was im Zuge dieses Reflexes unter meinem Gaumensegel angespült wird, wieder runter, was eine weitere Welle gallertiger Flüssigkeit in mir hochpumpt. »Du kannst unmöglich eine dir bekannte Kollegin mit falschem Namen begrüßen und dich dann auf ihrem Gesicht übergeben!«, flüstert mir äußerst entschieden meine eigene Lenor-Frau, ich nenne sie Maria, ins Gewissen, und fürwahr, ich schlucke abermals, was nun auch der Frau, die ich mal zu lieben glaubte, nicht verborgen bleibt.
     
    »Is’ was?«,
     
    fragt sie mich in einem Ton, in dem man in den Siebzigern an der innerdeutschen Grenze gebeten wurde, den Kofferraum zu öffnen, und ich flachse:
     
    »Gänsefleisch ma dös Göffersch’n aouffmach’n?«
     
    Mein Gegenüber guckt mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank, und auch ich bin mir plötzlich alles andere als sicher, ob sie tatsächlich vollzählig sind. Zum Glück spreche ich sie nicht in einer Übersprunghandlung auf den sechsten Monat an, in dem ich sie wähne, da ich zeitgleich gewärtige, dass das, was sie da vor sich herschiebt, keine einzelne, feste, große Rundung ist, sondern mehrere weich-wabbelnde Rettungsringe, die mir unter dem zeltartigen
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