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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman
Autoren: Simon Lelic
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Triathlons, Iron Man, ab und zu mal ein Marathon. Irgendwann haben meine Knie nicht mehr mitgemacht. Die Knie und der Knöchel.
    Sport, das ist eine Wissenschaft. Damals, als ich noch zur Schule ging, bestand der Sportunterricht daraus, dass wir in Unterwäsche querfeldein rannten. Die Jungs spielten Rugby, die Mädchen Hockey. Keine Disziplin, keine Organisation und keine Spezialisierung. Wir hatten beim Direktor Sport. Er hat uns einen Fußball rausgeschmissen und als Schiri an seinem Bürofenster gesessen. Schiri – ich lach mich tot. Zeitung hat er gelesen. Wenn es Geschrei gab, guckte er mal hoch, aber ansonsten konnten wir machen, was wir wollten. Wenn man jemanden foulen wollte, musste man es leise tun. Man musste ihn so treffen, dass ihm die Puste wegblieb, damit er nicht schreien konnte.
    Ja, das hat was für sich. Der Darwin’sche Ansatz. Darwin sagt Ihnen was, oder? Heute kämen Sie damit nicht mehr durch. Wie gesagt, heute ist das eine Wissenschaft. Es ist eine geworden. Wir bringen den Kids sportliches Verhalten und alle möglichen Fertigkeiten bei – Transfering-Skills nennen wir die – und auch Ernährung und so Sachen. Letzte Woche erst, da hatten wir eine Stunde über Callanetics. Ich kann dieses Wort nicht aussprechen. Callanetics. Callanetics.
    Die Leute denken immer, mein Job wäre simpel. In meinem Beruf hat man dauernd mit Vorurteilen zu tun. Und Szajkowski war das beste Beispiel.
    Eine Woche, bevor das Trimester anfängt, müssen wir in der Schule sein. Der Direktor ist da und alle Lehrer, und wir müssen so ein Training absolvieren, an Konferenzen teilnehmen. Das meiste davon ist Bullshit, reine Zeitvergeudung. Aber in gewisser Weise geht es auch ums Soziale. Sie wissen schon, man trifft sich wieder, lernt die Neuen kennen, der ganze Kram halt.
    Wie auch immer. Im letzten Trimester waren zwei neue Lehrer da. Eine davon war Matilda Moore, Chemielehrerin. Eine Ruhige, aber ganz nett. Interessiert sich zwar nicht besonders für Sport, aber sie ist nicht komplett ahnungslos. Sie ist nicht arrogant. Und natürlich Sam Szajkowski. Sam »Nenn mich Samuel« Szajkowski.
    Es ist so gegen Abend, wir sind in der Aula, und der Direktor hat ein ordentliches Büfett aufgefahren. Sie wissen schon, Sandwiches ohne Rinde, Würstchen in Blätterteig, Chips und so. Wir trinken Wein oder Saft oder was auch immer und amüsieren uns alle ganz gut. Der Direktor steht hier, Matilda ist da drüben, und alle hängen in Grüppchen herum. Alles ein bisschen lahm für meinen Geschmack, also, es geht nicht gerade der Punk ab, aber man macht halt so mit, stimmt’s?
    Ich sehe also, dass Szajkowski allein dasteht, und obwohl ihn der Direktor vorgestellt hat, hab ich selbst noch nicht mal ein paar Worte mit ihm gewechselt. Ich also zu ihm hin. Er ist neu hier, denke ich mir. Er kennt keinen. Gib dir ein bisschen Mühe, sag ich mir, damit er sich wohl fühlt bei uns.
    Da fällt mir auf, dass er und ich uns nicht gerade ähneln. Er ist ungefähr halb so groß wie ich, blass und sieht aus wie Woody Allen, nur mit einem fusseligen Bart, ohne Brille und nicht so alt und so sexbesessen. Na ja, wobei, wer weiß? Aber bloß, weil wir uns nicht ähnlich sind, heißt das ja nicht, dass wir nicht miteinander klarkommen. Wie zum Beispiel George. George Roth. Er macht Reli, und wir sind so ungefähr die gegensätzlichsten Menschen, die Sie sich vorstellen können. Ich meine, ich hab noch nie einen Fuß in eine Kirche gesetzt, geschweige denn in eine Moschee oder einen Tempel oder einen Judensaal, aber wir können ziemlich gut miteinander, wir kommen klar. Wir reden über Fußball, und er sagt immer, Fußball ist auch eine Art Religion, und da hat er wohl nicht unrecht. Pele wäre dann Gott, richtig? Oder Matt Le Tissier, je nachdem, woher man kommt.
    Aber Szajkowski: Mit dem ging’s schon schlecht los. Ich sage: Hi, und: Schön, dich kennenzulernen, und dann stelle ich mich vor und sage, er soll mich TJ nennen, weil mich alle so nennen, sogar die Kids.
    Hallo TJ , sagt er. Ich bin Samuel. Samuel Szajkowski.
    Samuel, sage ich. Also Sam, ja? Dich nennen sicher alle Sam.
    Und da schüttelt er ein bisschen den Kopf und lächelt so halb und sagt: Nein, ich werde Samuel genannt.
    Und dann sein Händedruck. Hab ich den schon erwähnt? So ein Händedruck sagt ja viel über einen Menschen aus. Bei Ihnen zum Beispiel. Sie haben einen festen Händedruck, ruhig, aber bestimmt. Daraus lässt sich so einiges ablesen. Dass Sie eine Frau in einem
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