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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman
Autoren: Simon Lelic
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Was für eins denn, wenn ich fragen darf?«
    »Er war nicht ganz richtig im Kopf. Ein Spinner. Depressiv, schizophren, missbraucht, weiß der Kuckuck. Warum hätte er sonst in einer Schule herumgeschossen?«
    »Er war depressiv. Und das genügt Ihnen?«
    »Herrgott noch mal, Lucia, was spielt denn das jetzt noch für eine Rolle? Er ist tot. Er wird es nicht wieder tun.«
    »Es geht hier um einen Amoklauf, Chief. In einer Schule.«
    »Genau. Na und?«
    Der Atem des Chief Inspector roch nach Kaffee. Lucia spürte die Hitze, die aus seinen Poren drang. Sie versuchte noch einmal, ihren Stuhl zurückzuschieben, aber wieder blieben die Beine im Flor des Teppichbodens stecken. Sie stand auf. »Ich lüfte mal ein wenig.« Sie schlüpfte an ihrem Chef vorbei zum Fenster und griff durch den Lamellenvorhang.
    »Es lässt sich nicht öffnen. Es wird nie geöffnet.«
    Lucia versuchte trotzdem, den Fenstergriff zu drehen, aber er war schon vor langer Zeit festgerostet. An ihren Fingern klebte
     alter Schmutz.
    »Sie verschweigen mir etwas.«
    »Nein.«
    »Doch. Irgendetwas verschweigen Sie mir. Sehen Sie mal, dieser Typ da, dieser Szajkowski«, er sprach es wie Sai-kohf-ski aus, »der war doch ein unbeschriebenes Blatt, oder? Nirgends negativ aufgefallen.«
    »Nein.«
    »Also hat auch niemand geschlafen. Niemand hätte es voraussehen können, also hätte es auch niemand verhindern können.«
    »Wahrscheinlich nicht.«
    »Warum lassen Sie die Sache dann nicht auf sich beruhen?«
    Lucia kratzte sich an den schmutzigen Fingern.
    »So etwas passiert, Lucia. Manchmal passiert so was. Das ist beschissen, aber so ist das Leben nun mal. Unsere Aufgabe ist es, die Bösen zu fangen. In diesem Fall ist der Böse tot. Und den ganzen Rest – die Vorwürfe, die Gegenvorwürfe, das ganze Geschwafel von Betroffenheit und dass man daraus lernen müsse –, das können wir getrost den Politikern überlassen.«
    »Ich möchte noch mehr Zeit.«
    »Warum?«
    »Weil ich noch mehr Zeit brauche.«
    »Dann sagen Sie mir, warum.«
    Es war einer jener schwülen Sommertage, an denen die Sonne direkt über der Stadt auszuatmen schien, so dass ganz London jetzt am Nachmittag in ihren dunstigen, stickigen Atem gehüllt war. Obwohl sich der Himmel im Laufe des Tages zugezogen hatte, war die Temperatur eher noch gestiegen. Lucia schob die Unterlippe vor und blies sich Luft über die Stirn. Sie zupfte an den Achseln ihrer Bluse.
    »Was, wenn es mehr als einen Bösen gab?«, fragte sie. »Was, wenn nicht alle Bösen tot sind?«
    »Fünfhundert Menschen haben gesehen, wie Szajkowski abgedrückt hat. Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass die sich alle getäuscht haben.«
    »Nein. Das sage ich ja gar nicht. Aber man braucht nicht derjenige zu sein, der abgedrückt hat, um eine gewisse Mitschuld zu tragen.«
    Der Chief Inspector schüttelte den Kopf. Als er sich wieder in seinen Sessel sinken ließ, schüttelte er ihn immer noch.
    »Ich spüre schon, wie das nächste Herpesbläschen kommt, Lucia. Ich sehe einen verdammt harten Prozess auf uns zurollen.«
    »Geben Sie mir einfach noch eine Woche.«
    »Nein.«
    »Nur noch eine einzige Woche, Sir. Bitte.«
    Cole kramte in den Papieren auf seinem Schreibtisch. »Kann ich nicht«, antwortete er, ohne aufzusehen.
    Lucia klopfte sich mit ihrem Notizbuch gegen den Oberschenkel. Sie blickte zum Fenster hinaus auf den Parkplatz, dann sah sie wieder ihren Chef an. »Warum nicht? Warum diese Eile?«
    Er sah ihr in die Augen. »Ich mag es sauber. Sauber und ordentlich. Ich kann es nicht haben, wenn sich etwas zu lange hinzieht. Und außerdem …«, wieder entdeckte der Chief Inspector auf seinem Schreibtisch ein Blatt Papier, das seine Aufmerksamkeit erregte, »… haben Sie es ja selbst gesagt. Es geht um einen Amoklauf an einer Schule. Je mehr Zeit wir uns lassen … Na ja. Es macht die Leute nervös, drücken wir es mal so aus.«
    »Welche Leute?«
    »Tun Sie doch nicht so naiv, Detective. Die Leute eben.«
    Von draußen aus dem Großraumbüro drang ein Jubelschrei zu ihnen, gefolgt von Applaus. Lucia und ihr Chef drehten die Köpfe nach den Geräuschen, aber die dunkel getönte Scheibe ließ nichts erkennen.
    »Wie lange geben Sie mir noch?«
    »Bis Montag. Ich brauche Ihren Bericht vor der Mittagspause.«
    »Einen Tag also. Effektiv geben Sie mir einen einzigen Tag.«
    »Heute ist Donnerstag. Sie haben heute Abend, Freitag und das Wochenende.«
    »Ich habe aber etwas vor am Wochenende.«
    »Dann müssen Sie eben
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