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Ein Strandkorb für Oma

Ein Strandkorb für Oma

Titel: Ein Strandkorb für Oma
Autoren: Janne Mommsen
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niemand anstrengen muss, sein Bild vom Gegenüber in Frage zu stellen.
    Meine Eltern machten alles falsch. Papa trug eine ausgeleierte Jeans, ein verwaschenes T-Shirt und eine Baseball-Cap vom «1.  FC St. Pauli», obwohl er in Wirklichkeit Fan von Mönchengladbach ist. Er erzählte lahme politische Witze, was er sonst nie tut, und gab sich als Jugendversteher. Meine Mutter hingegen spielte die spröde Vorstadtzicke im Kostüm, nah an der Grenze zur Parodie, und fragte alle, was sie beruflich planten. Auch die unmögliche Tussi, die Lars letzte Nacht abgeschleppt hatte und die gegen drei halbnackt zu uns an die Kaffeetafel stieß.
    Das Echo hinterher war niederschmetternd für mich: meine Mitbewohner fanden meine Eltern viel sympathischer und toleranter als ihre eigenen. Ich war fassungslos.
     
    In der WG , zu der ich unterwegs bin, übernehme ich praktisch die Rolle meiner Eltern, und das ist vollkommen neu für mich.
    Denn Oma ist in eine Alten- WG gezogen.
    Ohne uns zu fragen. Warum auch?
    Sie wohnt in Dunsum gleich im ersten Haus hinterm Deich. Ocke hat Oma und ihre jüngere Freundin Christa bei sich einziehen lassen. Vier Räume waren für ihn alleine schon lange zu viel. Der Vorteil für Oma ist, dass alle Zimmer auf einer Ebene liegen und Christa und Ocke Oma helfen, falls sie etwas nicht kann.
     
    Oma schießt sofort aus der Tür, als ich mit dem zerbeulten Mini vorfahre. Hier hinterm Deich ist heute starker Wind, die Wolken wandern hektisch über den Himmel. Nur für kurze Momente blitzt die Sonne dazwischen hervor wie ein genervter Elternteil, der nichts ausrichten kann.
    Oma und ich liegen uns in den Armen; wir drücken uns wie immer.
    «Sönke, mein Lieber!»
    «Mensch, Oma, was ist das?», begrüße ich sie. «Ziehst einfach um? Ohne ein Wort zu sagen?»
    Ein triumphierendes Grinsen huscht über ihr Gesicht: «Bevor ihr mich ins Heim steckt …»
    «Wer redet denn davon?»
    Sie blinzelt mich vielsagend an. «Es sieht alles ziemlich durcheinander aus, wir sind noch am Einräumen.»
    So, wie ich Oma kenne, wird sich an dieser Unordnung auch danach nicht viel ändern.
    Sie zeigt mir ihr Zimmer, das nach Südwesten hinausgeht, sodass sie nachmittags und abends Sonne hat. Das rauchgeschwärzte Elefantenbild hängt über ihrem Bett, der alte Schreibsekretär ist da, ein neuer Kleiderschrank, die Couch. Das Zimmer wirkt hell und freundlich, außerdem geht es von ihrem Zimmer direkt auf eine riesige Terrasse.
    «Und? Wie fühlt es sich an?»
    «Schwierig», klagt Oma. «Ocke und Christa sind viel ordentlicher als ich.»
    Ihr Enkel hat zum Glück einige Jahre WG -Erfahrung voraus.
    «Es ist egal, wie ordentlich alle sind, irgendjemand ist immer
noch
ordentlicher», weiß ich. «Einer muss in einer WG den Unordentlichen spielen, sonst gerät alles aus der Balance. Das ist eine Art Naturgesetz.»
    «Muss man wirklich jedes Mal die Kacheln trockenwischen, wenn man geduscht hat?», erkundigt sich Oma.
    «Oder müssen alle benutzten Teller sofort im Geschirrspüler verschwinden?», ergänze ich aus leidvoller Erinnerung.
    «Wir haben keinen Geschirrspüler», klagt Oma leise.
    Ich starre sie entsetzt an: «Das geht gar nicht! Ich schenke dir einen.»
    «Das muss ich erst mit den anderen besprechen.»
    «Was sollten die dagegen haben?»
    Klar, der Geschirrspüler wird ein Punkt beim wöchentlichen WG -Gespräch. Arme Oma, hoffentlich ziehen die anderen mit!
    «Keine Ahnung, wir stehen ja erst am Anfang. Komm, ich mache uns einen Tee.»
     
    Wie in jeder anderen WG sitzt immer jemand in der Küche. Hier ist es Taxi-Ocke in seinem obligatorischen Fischerhemd, der Tee trinkt und sich am dichten weißen Bart krault.
    «Moin, Ocke.»
    «Moin, Sönke.»
    «Hü gungt et?»
    «Gud, an hü gungt et di?»
    «Jo. – Tee?»
    «Gern.»
    Ich setze mich an den Tisch.
    Oma entschuldigt sich: «Ich verschwinde kurz im Bad.»
    Ocke holt eine Tasse mit einer Diddl-Maus und gießt mir Tee ein. Anschließend schaut er schwermütig in seine Tasse. «Sag, mal Sönke, kannst du mal mit den Weibern reden?», bittet er.
    «Worüber?»
    «Ich habe keine Lust, für alle zu kochen, das geht nicht. Christa isst fast nur Rohkost, und Imke ist mehr der Restaurant-Typ, selber Kochen ist bei beiden mau.»
    «Dann lass sie doch.»
    «Würde ich ja. Aber
wenn
ich koche, essen sie immer mit. Das sehe ich nicht ein!»
    Die WG lebt erst zwei Tage zusammen. Das wird noch spannend!
    Christa kommt herein. Eine Frau Ende fünfzig, sie sieht wunderbar aus,
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