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Ein Stiefel voll Glück - Oskar und Mathilda ; 1

Ein Stiefel voll Glück - Oskar und Mathilda ; 1

Titel: Ein Stiefel voll Glück - Oskar und Mathilda ; 1
Autoren: Westfalen> F.-Coppenrath-Verlag <Münster
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Gepäck im Flur. »Dann haben wir also nur den großen Rollkoffer, zwei Rucksäcke, die Reisetasche und meine Handtasche mit den Papieren und den Sparbüchern.« Sie seufzte ein drittes Mal, aber diesmal klang es schon ein wenig zufriedener. »Das kriegen wir mühelos in einem Rutsch mit.«
    »Gut«, sagte Oskar. Er stopfte das Backbuch, die Tüte mit den Mokkabohnen, die sein Vater ihm zuletzt mitgebracht hatte und die Oskar seitdem wie ein Heiligtum in seiner Nachttischschublade aufbewahrte, und den zerlöcherten Bären in den blauen Schulrucksack und streifte ihn über seine Schultern. »Tschüss, Zimmer«, murmelte er. »Glaub nicht, dass wir uns noch mal wiedersehen.«
    Plötzlich fiel ihm etwas ein.
    Er ging zum Schreibtisch hinüber, löste ein Blatt vom Klebeblock und schrieb seine neue Adresse darauf.

    Den Zettel pappte er an den Schirm seiner roten Metalllampe. Dort würde er Papa bestimmt sofort ins Auge fallen.
    »Telefon haben wir leider nicht«, sagte Oskar leise. »Und wir wohnen auch nur vorübergehend dort. Es wäre also gut, wenn du dich ein bisschen beeilen könntest.«
    »Oskaaar!«, rief seine Mutter aus dem Flur. »Kommst du?«
    Nein, dachte Oskar. Aber es half ja nichts. Dummerweise war das Leben nicht so eingerichtet, dass ein neunjähriger Junge mit einem zerlöcherten Bären, einem Backbuch und ein paar Mokkabohnen allein in einer Wohnung zurückbleiben und dort auf die Rückkehr seines Vaters warten durfte.
    »Gleiiich!«, rief Oskar zurück.
    Er wollte bloß ein paar Sekunden auf der Stelle stehen, auf den Klebezettel mit seiner neuen Adresse starren und darüber nachdenken, was er tun könnte, damit doch noch irgendwie alles gut würde. Vielleicht dreimal gegen die Schreibtischkante klopfen oder dreimal schnell bis dreiunddreißig zählen. Leider war der Schreibtisch aus Metall. Gegen etwas zu klopfen, das nicht aus Holz bestand, konnte verdammt schief gehen. Und dreimal bis dreiunddreißig zählen dauerte viel zu lange. Nicht für Oskar, aber ganz sicher für den Geduldsfaden seiner Mutter.
    Langsam wandte Oskar sich zur Tür um. Während er sich drehte, tauchte im Spiegel neben dem Kleiderschrank sein Gesicht auf. Es war schmal und blass, mit großen blauen Augen darin und feinen blonden Haaren drumherum, die lang und ein wenig fransig bis über die Ohrläppchen hingen. Auf der Nase hatte Oskar drei Sommersprossen, die einem Fremden allerdings nur bei genauerem Hinsehen auffielen. Es waren Glückssommersprossen, hatte Oskar einmal beschlossen, und deshalb war seine Lieblingszahl auch die Drei.
    »Was machst du denn so lange?«, rief Henriette Habermick.
    »Ich komm ja schon!«, rief Oskar zurück.
    Mit drei langen Sätzen erreichte er die Schwelle, dann war er im Flur und ergriff seine Reisetasche und einen seiner Gummistiefel, die gleich obenauf im Karton mit den aussortierten Schuhen lagen.
    »Der bleibt hier«, sagte seine Mutter. Sie nahm den Schlüsselbund vom Haken und schob ihn in ihre Jackentasche.
    »Nein, der muss mit«, erwiderte Oskar.
    »Aber es ist nur einer«, sagte Henriette Habermick und versuchte, ihm den Stiefel zu entwinden. »Mit
einem
Gummistiefel lässt sich rein gar nichts anfangen.«
    »Doch«, widersprach Oskar.
    Unter gewissen Umständen konnte ein Gummistiefel das Glück der Welt bedeuten, aber davon hatten Erwachsene keine Ahnung.

Mathilda saß im Wohnzimmer am Sekretär ihrer Mutter. Sie hatte die Füße ineinander verhakt, baumelte mit den Beinen und nagte am Ende ihres Füllers. Mathilda dachte nach. Zum einen über die Adjektive und Adverbien, die sie in die freien Stellen der Aufgabe Nummer fünf auf Seite dreiundsechzig ihres Grammatikübungshefts eintragen sollte. Und zum anderen über den Mofamotor, den Julius aus der Bohmfelder ihr gestern geschenkt hatte.
    »Keine Ahnung, ob der noch läuft«, hatte er gesagt. »Die Karre ist jedenfalls Schrott.«
    »Egal«, hatte Mathilda geantwortet, obwohl ihr ein voll funktionsfähiger Motor, der an einem intakten Mofa gehangenhätte, natürlich am liebsten gewesen wäre. Aber so etwas war für ein knapp zehnjähriges Mädchen, das dazu auch noch in der »Vornehmen« wohnte, nur schwer zu bekommen. Umsonst schon gar nicht. Und erst recht nicht von Julius, der eigentlich jeden Cent brauchte. Ein reines Wunder, dass er den Motor überhaupt abgegeben hatte.
    »Wenn er noch funktioniert, kriegst du ihn zurück«, hatte Mathilda ihm versprochen.
    »Wenn er noch funktioniert, hast du Glück gehabt«, hatte Julius
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