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Ein Schlag ins Herz

Ein Schlag ins Herz

Titel: Ein Schlag ins Herz
Autoren: Ilkka Remes
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Argwohn geweckt hatte. Warum nur hatte er nichts gesagt?
    »N’Dhane, wir bereiten eine OP vor«, sagte Sandrine zu der Krankenschwester.
    Patrik spürte, wie ihn die Schwäche überkommen wollte, und er schloss kurz die Augen.
    Gleich darauf fuhr er zusammen, als er merkte, dass die Schwester am Bett des Fahrers die Bremsen löste und diesen in Richtung Nebenraum schob, wo große Lampen und Gasflaschen zu sehen waren.
    Patrik sah Sandrine erstaunt an, die sich eine grüne Schürze umband. »Was soll das?«, fragte er. »Du hast gerade gesagt, Beate muss operiert werden   …«
    Sandrine hielt in ihren Bewegungen inne und schaute Patrik fest in die Augen. »Sieh dich doch einmal um! Wir haben viele Patienten, und die Ressourcen sind knapp. Die Rebellen haben die Verbindungswege nach Kiwasa gekappt. Ich habe nur noch Narkosemittel für eine große Operation. Der männliche Patient hat Vorrang.«
    Patrik starrte die Ärztin schockiert und ungläubig an.
    »Wieso Vorrang?«
    »Ich muss mich entscheiden. Ich operiere jetzt den Mann und sobald wir Nachschub bekommen, deine Freundin. Vielleicht schon morgen früh.«
    Patrik spürte, wie sich in seinem Körper eine Lähmung ausbreitete. Sandrine legte einen sauberen Mundschutz an.
    »Beate wird nicht bis morgen früh durchhalten«, sagte er heiser.
    Sandrines Blick war entschlossen.
    »Ich muss trotzdem versuchen, den Patienten zu retten, der die größere Überlebenschance hat.«
    Eine anfallartige Wut schnürte Patrik die Kehle zu, er bekam kein Wort heraus. Im Augenwinkel sah er Sandrine Gummihandschuhe überstreifen, die ihr die Schwester hinhielt.
    »Nein«, brachte Patrik endlich heraus. »Das kannst du nicht tun. Du kannst Beate nicht unversorgt lassen   …«
    »Patrik, ich bin Ärztin, ich muss meine Entscheidung nach medizinischen Erwägungen treffen.« Sandrine ging auf den Raum zu, der als Operationssaal diente.
    »Stopp«, brüllte Patrik. Sein Blick fiel auf die blutigen Skalpelle auf dem Metalltisch. Er griff eines davon, war mit einem Satz bei der Ärztin, packte sie von hinten und drückte ihr die Klinge an den Hals. Die Krankenschwestern um sie herum erstarrten, eine von ihnen schrie.
    »Du versorgst jetzt zuerst Beate«, zischte Patrik. »Der Fahrer hat den Unfall verursacht, er ist gefahren wie ein Wahnsinniger   …«
    »Du machst einen schweren Fehler«, fiel ihm Sandrine mit ruhiger Stimme ins Wort. »Auf diese Weise wirst du ihr nicht helfen   …«
    Im selben Moment spürte Patrik etwas Kaltes und Hartes an der Schläfe.
    »Lass sie los, oder ich puste dir das Gehirn aus dem Schädel!«
    Die Stimme gehörte dem Schwarzen, der Patrik den Weg zur Baracke gewiesen hatte.
    Im selben Moment spürte Patrik einen dumpfen Schmerz im Magen, der ihm die Luft nahm. Als er begriff, dass Sandrine ihm den Ellenbogen in den Leib gerammt hatte, schlug sie ihm bereits mit der anderen Hand das Messer weg, schnellte flink herum und versetzte ihm einen weiteren Hieb, diesmal ins Gesicht.
    Patrik fiel das Skalpell aus der Hand, und er stürzte durch die Wucht des Schlages zu Boden. Über sich sah er Sandrine und den Schwarzen, der mit finsterer Miene die Waffe auf ihn richtete. Der Mann holte mit einem Bein aus, und gleich darauf traf seine Stiefelspitze Patrik schmerzhaft in die Seite.
    »Lass gut sein«, sagte Sandrine. »Er wird uns nicht mehr stören.«
    Patrik wand sich am Boden und sah Sandrine hinterher, die im Operationssaal verschwand und die Tür hinter sich schloss.
    Dann wurde ihm schwarz vor Augen. Bevor er das Bewusstsein verlor, sah er noch kurz die reglos auf dem Behandlungstisch liegende Beate.

ERSTER TEIL
    1
    In ungleichmäßigen Formationen schäumten die Wellen auf der Ostsee. Patrik stand im Bug des Schnellbootes und spürte bei der rasenden Fahrt durch die bewegte See den kalten Aprilwind in den Knochen. Vor sich sah er nur das trostlos graue Meer in der Morgendämmerung. Vor Kurzem hatte Schneeregen eingesetzt.
    Patrik atmete tief die raue Seeluft über dem Finnischen Meerbusen ein. Eigentlich hätte er neben Beate im Boot stehen sollen, aber er war allein. Die Sehnsucht und die Last der Schuld drückten schwer auf seine Schultern. Warum hatte er von dem Fahrer nicht verlangt, dass er anhielt und ihn ans Steuer ließ? Warum hatte er nichts gegen den irrsinnigen Fahrstil des Mannes unternommen? Außerdem konnte er nicht verstehen, warum Beates Eltern ihm verboten hatten, zur Beerdigung zu kommen. Als Patriks Blick auf die hellen Lichter fiel,
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