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Ein Schlag ins Herz

Ein Schlag ins Herz

Titel: Ein Schlag ins Herz
Autoren: Ilkka Remes
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versucht, seine Nervosität und seine Sorge zu kaschieren. Die ganze Aktion war für ihn buchstäblich eine Frage von Leben und Tod – und nicht nur für ihn, sondern auch für sein Kind.
    »Du hast uns getäuscht«, sagte Jochem und machte einen Schritt auf Herman zu.
    »Das war die einzige Möglichkeit. Es ging um Daniels Leben.«
    »Dafür sollte ich dich umbringen«, zischte Dominik.
    Herman schien ihn gar nicht wahrzunehmen, er fixierte den Afghanen: »Ich habe euch die Geiseln gebracht. Gib mir meinen Sohn.«
    Der Mann sah ihn lange an. Den Jungen ließ er dabei nicht los.
    Der Junge sah über die Schulter zu den anderen Afghanen, die mit versteinerten Mienen dastanden. Dann richtete er den Blick auf seinen Vater, seine Augen spiegelten abgrundtiefe Angst. Patrik stellte fest, dass er innerlich hoffte, Herman möge Erfolg haben. Doch dann erkannte er, was das bedeuten würde: Er und die anderen Geiseln würden in die Hände der Taliban-Kämpfer geraten.
    Hinter dem Mann mit dem Tuch ergriff nun leise jemandin der Sprache der Afghanen das Wort. Der Sprecher war ein Mann in langem, schwarzem Seidenhemd und schwarzen Hosen, der sein Gesicht mit einem Tuch verdeckt hatte und ein Sturmgewehr vor der Brust hielt.
    Herman schien genau zuzuhören, als verstünde er hier und da ein Wort.
    Der Mann in Schwarz beendete seine Rede.
    Patrik sah, dass in der Hand des Mannes, der den Jungen festhielt, ein Messer aufgetaucht war. Auch Herman hatte es bemerkt.
    Starr vor Entsetzen sah das Kind seinen Vater an und schielte zwischendurch immer wieder auf das in der Sonne blitzende Messer.
    »Um der Ehre meiner Familie willen«, sagte Herman langsam. »Gebt mir meinen Sohn zurück.«
    Auf dem Gesicht des Afghanen regte sich keine Miene.
    Sandrine hatte die ganze Zeit reglos und vollkommen still dagestanden. Als Frau tat sie gut daran, vor den Taliban zu schweigen. Jetzt verstand Patrik auch, warum Herman verlangt hatte, dass sie sich beim Verlassen der Maschine eine Decke umschlang. Während der holprigen Fahrt war die Decke jedoch heruntergerutscht und unter die Füße der Mitfahrer geraten, weshalb Sandrine nun mit zerrissener Bluse und schmutzigen Jeans inmitten der anderen Geiseln stand.
    »Ich habe euch die Geiseln gebracht«, sagte Herman. »Ich habe mein Wort gehalten. Haltet ihr jetzt das Eure. Um der Ehre willen.«
    »Ehre?«, fragte der Afghane. »Welche Ehre? Du bist nur ein Söldner, der gegen Geld alles tut. Als du bei den amerikanischen Truppen warst, hast du unsere Landsleute getötet und bist dann zu uns übergelaufen. Was ist dadurch aus dir geworden? Ein Mann, der keine Ideale und keine Ehre hat. Ein Hund.«
    Der Junge sah den Afghanen und dann wieder seinen Vater an. Der Afghane bemerkte es.
    »Offenbar hast du deinem Sohn nicht erzählt, wer du wirklich bist. Welche Geschichte hast du ihm vorgesetzt? Dass du in geheimer Mission für die amerikanischen Streitkräfte in aller Welt unterwegs bist?« Der Hohn in den Worten des Mannes war mit Händen zu greifen.
    Plötzlich wurde Patrik durch die Verwirrung des Jungen an seine eigene Vergangenheit erinnert. An einen Moment, den er vergessen, verdrängt hatte.
    Der Afghane machte eine Kopfbewegung zu dem Jungen hin. »Sein Vater ist ein Hund, der uns ein Hunderudel bringt. Die Frage lautet, ob wir für den Hund noch Verwendung haben.«
    Herman schien vor Wut zu zittern, während er den Afghanen, der seinen Sohn festhielt, weiter anstarrte.
    »Vielleicht hat der Hund das Rudel gebracht, aber der Hund kann sein Rudel auch fressen«, sagte Herman. »Jochem, Geir, erschießt die Geiseln!«

71
    Patriks Herz setzte einen Schlag aus. Zum ersten Mal während des Wortgefechts hatte sich nun der Gesichtsausdruck des Afghanen verändert. Aus Überheblichkeit wurde Unsicherheit.
    »Halt!«, rief er.
    »Wenn du meinen Sohn tötest, wirst du keine einzige Geisel lebend in deine Gewalt bekommen«, entgegnete Herman kalt.
    Im Blick des Afghanen flackerte Hass auf. Seine Ehre war auf überraschende Weise verletzt worden. Ein Blutbad stand bevor.
    »Im Flugzeug befindet sich etwas, das noch wertvoller ist als diese Geiseln.«
    Alle blickten überrascht in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Es war Sandrine gewesen. Patrik bekam es mit der Angst zu tun, denn in der hiesigen Kultur und schon gar vor diesen Männern durfte eine Frau nicht ohne Erlaubnis das Wort ergreifen.
    »Im Laderaum des Flugzeugs befindet sich eine schwarze Kapsel«, fuhr Sandrine fort. »Die USA sind
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