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Ein Ring aus Asche

Ein Ring aus Asche

Titel: Ein Ring aus Asche
Autoren: Cate Tiernan
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richtiggehend spüren, dass Manon unglücklich war und sich schuldig fühlte. Aber weshalb? Und Daedalus sandte schon jetzt Wellen des Triumphs aus, als sei irgendein großartiges Ziel erreicht worden. Gruselig.
    Ich versuchte, Sophie bewusst zu erreichen, um zu sehen, was passieren würde. Zu meiner Überraschung traf mich eine Flut von Traurigkeit, die so stark war, dass ich die Augen öffnen musste. Ihr Gesicht wirkte unbewegt, genau wie sonst, doch in ihren großen braunen Augen lag ein gequälter Ausdruck, und ich fühlte Verzweiflung. Und eine eiserne Entschlossenheit. Aber zu was?
    Von Ouida kam beruhigender Friede und strahlende Liebe– was für eine Erleichterung. Sie war erschöpft, und doch konzentrierte sie sich darauf, nur Gutes auszusenden. Dem Himmel sei Dank. Und dann war da noch Luc. Ich konnte nicht anders, ich öffnete die Augen und warf ihm einen schnellen Blick zu. Seine Augen waren geschlossen. Er sang, folgte dem Lied der anderen. Ich spürte ein tiefes Gefühl von Reue und Sehnsucht, das von ihm ausging. Er war so schön, so gepeinigt in der dunkler werdenden Dämmerung. Mit einem Mal war ich zutiefst froh, dass er hier war, dass wir beide an derselben magischen Handlung teilhatten, egal wie fern wir einander in Wirklichkeit waren. Ohne Vorwarnung fühlte ich plötzlich eine Woge der Liebe und des Verlangens in mir aufwallen.
    Sofort versuchte ich, sie im Keim zu ersticken, doch es war zu spät. Er hatte es gespürt. Er schlug die Augen auf und starrte mich an. Schnell schaute ich zur Seite und schluckte meine Gefühle hinunter. Mein Blick begegnete dem von Clio. Sie hatte Luc beobachtet. Sie hatte gesehen, wie wir uns angeschaut hatten. Niedergeschlagen fragte ich mich, ob sie meine Gefühle wahrgenommen hatte. Hoffentlich nicht. Entschlossen machte ich die Augen zu, ließ meinen Verstand erneut leer werden und hielt Jules und Richard fest an der Hand. Wir machten eine nicht enden wollende Reihe von Kreuzschritten nach links.
    Okay, jetzt war Axelle an der Reihe. Von ihr empfing ich hauptsächlich ein Gefühl ungeduldiger Irritation.
    Richard neben mir wirkte, als habe er den Zugang zu seinem Geist verriegelt, als wäre seine ganze Konzentration darauf ausgerichtet, nichts auszusenden. Das bisschen, das ich wahrnahm, fühlte sich an wie Verwirrung, Ärger, Zweifel.
    Ich öffnete die Augen einen Spaltbreit und ließ meinen Blick erneut zu Clio wandern. Ihre Augen waren geschlossen, ihr Gesicht gerötet und feucht. Sie sah… wunderschön aus. Galt das auch für mich?
    Entspann dich. Konzentration. In der Mitte des Kreises brannte ein kleines Feuer. Nicht weit davon entfernt, an den vier Spitzen eines imaginären Kompasses, standen dicke goldene Stumpenkerzen in etwa sechzig Zentimeter hohen, bauchig geschwungenen Gläsern. Steine umgaben das Feuer. Zwischen den Kerzen befanden sich steinerne, mit Wasser gefüllte Schüsseln. Ich ließ mich auf jedes Element ein, fokussierte mich jedoch insbesondere auf das Wasser– kühl, fließend, mächtig, endlos und ohne Zeit, wie es war.
    Meine Stimme wurde lauter und wir bewegten uns schneller im Kreis. Petra hatte erklärt, das Récolte-Lied habe einmal einen richtigen Text gehabt, der jedoch über die Jahrhunderte verloren gegangen war. Es kam mir so seltsam vor, dass dies alles über mehrere Hundert Jahre stattgefunden hatte und ich bis jetzt nichts davon gewusst hatte. Doch genau dieses Lied hatte einst die Erde gepriesen, da sie der Menschen Nahrung hervorbrachte, die Sonne, die alles am Leben erhielt, und den Regen, der die Feldfrüchte und alle Lebewesen nährte. Es ging darum, wie die Erde den Menschen etwas geschenkt hatte und sie es angenommen hatten. Im nächsten Frühjahr, wenn sie neu pflanzten und den Boden düngten, würden sie der Erde etwas zurückgeben. Es war das Versprechen, Leben zu schenken im Gegenzug für das, welches sie bekommen hatten. Es war ein sehnsuchtsvoller, wunderschöner Klang wie aus einer anderen Welt. Ich war seltsam emotional gestimmt und dankbar für das, was ich hatte. Ich hatte so viel verloren, und nach dem Tod meines Vaters hatte ich mir nicht vorstellen können, mich jemals wieder einigermaßen heil zu fühlen. Doch jetzt, mit Petra und Clio, hatte ich wieder eine Familie. Und mehr als das, ich hatte eine Verbindung zu dieser tief in mir verankerten Magie. Zunächst hatte es mich erschreckt, aber jetzt… jetzt, da ich mich ihr endlich nahe fühlte, mich mir selbst endlich nahe fühlte, war es, als habe sich
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