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Ein Mann wie ein Erdbeben

Ein Mann wie ein Erdbeben

Titel: Ein Mann wie ein Erdbeben
Autoren: Heinz G. Konsalik
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soweit. Es war auch der Tag, an dem Erwin Lundthaim zurück nach Cannes kam und vier Ampullen des neuen Rauschmittels mitbrachte.
    Claudette begann die Hölle aufzureißen.
    Es begann ganz zaghaft, kaum merkbar, so wie sich ein Taifun ankündigt durch die Windstärke. Vergeblich hatte Bob versucht, bei den ihm bekannten Händlern ein paar Ampullen auf Kredit zu bekommen. Er handelte, bis er erfahren mußte, daß es in diesem Geschäft keinen Kredit gab, kein Vertrauen auf morgen, keinen Handschlag wie beim Pferdehandel.
    Bob erniedrigte sich so weit, daß er zu betteln begann. Er flehte die Händler an, beschimpfte sie, drohte, bis er hinausgeschoben wurde und ihm einer – es war der neunte Verteiler – die Gefährlichkeit klarmachte, lauter als erwünscht zu sein.
    »Man wird Sie nicht vermissen, Monsieur«, sagte der Mann, ein jovialer, dicker Türke, der ein Geschäft für orientalische Kunst betrieb. »Denken Sie immer daran. Es haben sich schon viele Menschen mit dem eigenen Mund umgebracht.«
    Verbissen, auf Theodor Haferkamp fluchend, nach einem Ausweg suchend und immer ins Leere stoßend, kehrte Bob in sein Apartment zurück. Er wußte, daß er mit seiner Betteltour die Preise hochgetrieben hatte, daß man jetzt irre Summen für eine einzige Ampulle verlangen würde.
    Noch sechs Tage, bis das Geld aus Vredenhausen eintraf.
    Sechs Tage nur … aber was sind sechs Tage ohne Spritze für Claudette?
    Als er die Tür aufschloß, hörte er sie schon im Zimmer herumgehen. Unruhig, von Wand zu Wand, wie ein gefangenes Tier. Wie lange dauerte es, bis sie die Wände ansprang? Wie lange, bis sie kreischen und schreien würde? Wie lange, bis sie die Fenster aufriß und der entsetzlichen Tiefe, der Erlösung zustrebte?
    Bob Barreis blieb in der Diele stehen. Er hatte Angst. Ihm war bewußt, daß er von dem Augenblick, wo er jetzt die Tür vor sich aufzog, die Welt verließ und eintauchte in ein sich immer mehr aufblähendes Grauen.
    Er zuckte zusammen. Claudette rief. Sie hatte ihn gehört.
    »Bist du es, Schatz?«
    Er nickte mehrmals stumm, bis er weiterging und die Tür zum Zimmer öffnete. »Ja –«, sagte er ganz unnötig.
    Sie starrte ihn an, die Augen schon halb versunken in ein Reich, das keine Hemmungen kannte.
    »Hast du … hast du … etwas?«
    »Nein«, sagte er mit schwerer Zunge. »Gauner alle, Halunken, Verbrecher. Aber in sechs Tagen … Claudette … in sechs Tagen kaufen wir einen ganzen Kasten voll. In sechs Tagen …«
    »Sechs Tage …« Sie sagte es gedehnt, aber der letzte Ton zerbrach bereits wie Glas. Er war schrill, der erste Ton aus einem Jenseits aller Sinne. »Sechs –«
    Und plötzlich warf sie die Arme hoch, als wolle sie den Himmel herunterreißen, ihr verschwenderisch schönes Gesicht mit den Mandelaugen wurde zur schiefen Fratze. Bob Barreis starrte sie an, er begriff nicht, wie diese Wandlung möglich war. »Jetzt!« schrie sie grell. »Jetzt! Jetzt! Jetzt! Ich verbrenne doch! Ich verbrenne!«

14
    Er stand da, an die geschlossene Tür gelehnt, die Hände flach hinter sich gegen das Holz gepreßt, und spürte, wie der Schweiß über seine Handflächen lief. Claudette stürzte in die Knie, ihre langen schwarzen Haare fielen wie ein Vorhang über ihr Gesicht, ein Schleier, hinter dem ihre verlorene Stimme wie aus einer anderen Welt hervorquoll. Bob zuckte heftig zusammen, als sie plötzlich mit der Stirn auf den Teppich schlug, immer und immer wieder, mit wachsender Gewalt, als wolle sie ihren Kopf durch die Decke bohren, ein Loch rammen in diese verfluchte Welt, die sich von Minute zu Minute veränderte und schrecklicher wurde als jegliche nur erdenkliche Hölle. Was sind Sonne und Meer, Palmen und weißer Strand, Gegenwart und Zukunft, Liebe und Erfüllung, wenn sie nicht ertragen werden auf der leichten Wolke einer Seligkeit, eines offenen Himmels, der in einer kleinen Spritze wohnt, einer Tablette, eines Tütchens Pulver?
    »Hilf! Hilf mir, Bob!« schrie Claudette. Sie warf mit beiden Händen die Haare von ihrem Gesicht. Ihre herrliche Stirn war rot und schwoll an. Noch mehr solcher Schläge auf den Boden, und die Haut würde platzen, das Blut über ihre bettelnden Augen rinnen.
    »Ich bin herumgerannt …«, sagte Bob Barreis heiser. »Diese Schweine! Diese Saukerle. Kein Geld, kein Stoff! Auf Kredit verkaufen sie nichts. Aber in sechs Tagen –«
    »Fahr sechsmal zum Teufel!« Sie streckte die Fäuste hoch. »Du hast deinen Wagen!«
    »Ich habe ihn angeboten, als Pfand.
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