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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schleudernd fegte er um die Ecke, man hörte seinen heulenden Motor noch lange in der Ferne. Die Stille der Nacht trug das Schreien der Verzweiflung wie auf Wellen weiter.
    Martin Abels knöpfte seine Smokingjacke zu und strich die blonden Haare aus der Stirn. Langsam ging er zur Einfahrt seiner Villa, blieb stehen, lauschte noch einmal auf das ferne Heulen des Automotors und suchte in der Hosentasche nach seinen Schlüsseln. Er brauchte sie nicht herauszuholen. Über dem Eingang mit der großen gläsernen, durch weißes Schmiedeeisen geschützten Haustür flammten zwei große Lampen auf, ein Diener öffnete und rieb sich die schlaftrunkenen Augen.
    Martin Abels sah zurück auf den Fleck, wo der Wagen Inken Holgersons gestanden hatte.
    »Der Himmel möge mir verzeihen, daß ich ihr so etwas gesagt habe«, sagte er leise. »Aber es mußte sein.«
    Morgen, Herr Abels.« Der Diener hielt die Tür auf. Guten Morgen? Martin Abels sah schnell auf seine Armbanduhr. Drei Uhr früh. Immer korrekt, der Alfons.»Guten Morgen.«
    »Ein Anruf aus New York, Herr Abels. Um zwei Uhr neunzehn. Die Aktien der Union-Steel sind um fünf Punkte gestiegen.«
    »Danke.« Martin Abels klopfte dem Diener auf die Schulter. »Wenn du wüßtest, Alfons, wie wenig mich das interessiert.«
    Zehn Minuten später verlor Inken Holgerson die Gewalt über ihren neuen Sportwagen. Er raste auf einen Laternenpfahl zu, wurde von ihm zurückgeschleudert und prallte dann gegen eine Gartenmauer.
    Als die Polizei eintraf, stand Inken Holgerson unverletzt neben dem Wrack ihres Wagens. Sie war bleich, aber keineswegs verstört oder geschockt.
    »Das ist ja ein totaler Bruch«, sagte der Polizeiwachtmeister, nachdem er die Personalien aufgenommen hatte und den Unfallwagen besichtigte.
    Inken Holgerson nickte. »Ja.« Ihre Stimme war eher traurig als erregt. »Wenn Sie wüßten, was heute alles in die Brüche gegangen ist.«
    *
    Die große Stadt Bremen wird sehr eng, wenn es sich um die ›großen Familien‹ handelt. Sie bilden eine in sich abgeschlossene Welt inmitten der weltoffenen Großstadt, und der Wind, den die Schiffe aus allen Ländern der Erde mitbringen, weht über sie hinweg oder höchstens in die Kassen ihrer Firmen. Was außerhalb der Handelshäuser, in denen man noch das alte Schild › Comptoir ‹ findet und die Stehpulte der Buchhalter aus der Gründerzeit als Repräsentanten des ›königlichen Kaufmanns‹ verehrt, was vor allem außerhalb der weißen Mauern der Villen am Rande Bremens geschieht, ist ein Allerweltstumult, dem man sich in vornehmer Zurückhaltung verschließt. Was dagegen innerhalb der eigenen Gesellschaft geschieht, bildet den Inhalt täglich wechselnder Kaffee-, Tee- oder Cocktailstunden.
    So fiel es ohne äußeren Anstoß sofort auf, daß Martin Abels seine Besuche bei dem Reeder Holgerson einstellte. Der Jubel mißgünstiger Frauen – eine Charaktereigenschaft fast aller Damenkränzchen – erreichte seinen Höhepunkt, als bekannt wurde, daß Inken Holgerson nach Ägypten gereist sei, um dort die Pyramiden und die Assuanstaudämme zu besichtigen. Allein gereist, das war das Erregende. Von heute auf morgen. Wer fährt schon nach Ägypten, wenn er kurz vor der Verlobung steht?
    Die Bremer ›große Gesellschaft‹ hatte ihren Klatsch. Reeder Holgerson suchte um eine Aussprache bei Martin Abels nach und mußte sich sagen lassen, daß Herr Abels nicht gestört zu werden wünschte.
    »Ein Flegel!« schnaubte der alte Holgerson. »Ein erbärmlicher Emporkömmling! Aber in Bremen vergißt man nicht so leicht! Auch ein Kugellagerfabrikant ist sterblich! Warten wir ab!«
    Am Stammtisch in dem historischen Weinlokal ›Zur Eule‹ trafen sich wenig später drei alte Kriegskameraden: Der Rechtsanwalt Ludwig Petermann, der Metzgermeister Heinz Fernholz und Martin Abels. Jeden ersten Freitag im Monat kamen sie in der ›Eule‹ zusammen, tranken ein paar Schöppchen Wein, erzählten von ihrem Leben und erinnerten sich an die Zeit, wo sie als Plennys in Rußland zusammen in einem plombierten Viehwagen durch die unendlich scheinenden Wälder und Steppen gefahren worden waren, um in Moskau zu hören: »Nix Heimat – ihr Verbrecher!«
    »Was ist eigentlich mit dir los, Martin?« wollte Petermann, der Anwalt, wissen. Es war ein neuer Freitag im Monat und drei Wochen nach der Szene auf der Straße vor Abels' Haus. Die Bremer Gesellschaft hatte wunde Lippen vom Flüstern, Reeder Holgerson hatte sogar einen Arzt konsultiert, einen
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