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Ein Herz bricht selten allein

Ein Herz bricht selten allein

Titel: Ein Herz bricht selten allein
Autoren: Gitta von Cetto
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eigentlich zum
letztenmal gelacht? Wie trostlos war das Leben. Sie sind doch eine junge
hübsche Frau... Das Buch auf ihrem Schoß lag seit einer Stunde aufgeblättert
da. Sie fand es öde. Dabei war es ein Buch, von dem man sprach und das man
gelesen haben mußte, um dabeizusein. Wobei? Bei den Menschen, die zählten. Welche
zählen? Zählten Schwester Ina und Frau Laastrek und Mary Croon?
    Mary Croon jammerte ihr
wortreich von ihrer bösen Stiefschwester vor, die dem Vater so schön tat und
ihm allmählich alles abluchste, was eigentlich Mary zukam. Es gab so gemeine
Menschen auf der Welt.
    »Ja, da haben Sie recht.«
    »Meine Abendtemperatur geht
‘rauf, anstatt ‘runter.«
    »Oh...«
    Solche Gespräche fanden jeden
Tag zur selben Stunde und über dieselben Themen statt. Frau Laastreks Schwager
betrieb eine Tulpenfarm in Holland, was Frau Laastrek nicht nur erwähnenswert,
sondern interessant genug fand, um sich jeden Tag von neuem darüber
auszulassen.
    Bettina bekam viel Post. Sogar
Poldi hatte sich zu einem Brief aufgerafft. Er schickte ein Foto von Nancy mit.
Bettina fand ihre zukünftige Schwägerin eher interessant als schön. Aber wie
weit man mit der Schönheit kam, sah sie ja an sich. Sie war schön, aber das
pausbäckige Julchen machte das Rennen. Abgemeldet, überfahren.
    Am Mittwoch, an ihrem
dienstfreien Nachmittage durfte Bettina bei gutem Wetter einen Bummel in den
Ort machen. Sie schlenderte in ihren hohen Pelzstiefeln und dem
lammfellgefütterten Mantel durch die Straßen, begleitet von dem Geklapper der
geschulterten Ski der Wintersportler, und mimte auf Après-Ski. Sie sahen alle
gesund und vergnügt und unternehmungslustig aus, und sie sollten ja nicht
denken, Bettina käme aus einem der berühmten Sanatorien. Sie fühlte sich wie
eine behütete, exotische Pflanze, die aus dem Gewächshaus entronnen war und
sich nun auf einer derben Bauernwiese herumtrieb. Sie fing an, die vergnügten
Urlauber zu hassen, denen sie allen ein sorgloses Zuhause und ein von Glück
bescheidenes Leben andichtete. Dummes Sportpack!
    Zu Anfang hatte Bettina noch
hier und da auf der Toilette heimlich eine Zigarette geraucht, aber die
Patienten spionierten einander nach, und die Schwestern schnupperten mit ihren
auf sündiges Nikotin gedrillten Nasen überall herum, der Rauch setzte sich in
den Kleidern, und natürlich setzte er sich auch, wie Bettina zugeben mußte, in
ihrem angeschlagenen linken Lungenflügel fest. Jedesmal war die Sache mit der
heimlich gerauchten Zigarette aufgekommen. Und natürlich hatte man sie
verpetzt. Professor Burrli, der sonst so gern über alles seine Späßchen machte,
war fuchsteufelswild geworden, denn in bezug auf Nikotin fehlte ihm jeglicher
Sinn für Humor. So hatte Bettina auch dieses letzte kleine Vergnügen aufgegeben
und lutschte jetzt Lakritzen.
    Lohnte das Leben noch? Ja, es
lohnte. Denn es gab Bibi, und es gab Mama, die fast jeden zweiten Tag einen
Brief schrieb, die Rührende, und schon viermal hatte sie angerufen, um Bettina
aufzuheitern. Anna übertraf sich selbst. Sie war eine ideale Mutter. Gab es an
ihr auch nur die geringste Kleinigkeit auszusetzen? Alle Gefechte, auch die
großen, hitzigen Kämpfe der Vergangenheit, waren vergessen.
    Pünktlich mit dem Kalendertag
erschien in diesem Jahr der Frühling. Er hielt seinen Einmarsch mit föhnigen
Winden, die den Schnee von den Südhängen in tausend murmelnde Bäche
verwandelten, an geschützten Plätzen begannen die Krokusse zu blühen, und wie
die Pilze aus der Erde schossen die Warntafeln >Lawinengefahr<, und wer
es nicht glaubte, brauchte nur auf das dumpfe Donnern zu lauschen, das von Zeit
zu Zeit hörbar wurde.
    Professor Burrli war mit ihrem
Krankheitsverlauf, ein Wort, das er übrigens nie benützte, sondern immer durch
>Gesundungsprozeß< ersetzte, nicht unzufrieden. »Nur mehr Lebensfreude
müßten Sie haben, liebes Kind. Das würde uns vorwärtshelfen, und Sie könnten
dann vielleicht im Mai schon heim.«
     
    Lebensfreude? Woher nehmen? Und
heim? Wohin? Da lag zwischen den Seiten eines Buches der Brief von Bernhard,
der gestern gekommen war. Er begehrte nicht mehr die Scheidung, er bat um sie,
bat in höflicher, nahezu herzlicher Form darum, appellierte an Bettinas Einsicht
und beschwor sie inständig, sich nicht von Haß- oder Rachegefühlen leiten zu
lassen. Julia erwartete ein Kind.
    Nun gut, da hatte sie es also
geschafft. Bettina war nicht einmal bitter. Was für ein Glück, daß sie Bernhard
nicht mehr
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