Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Herz bricht selten allein

Ein Herz bricht selten allein

Titel: Ein Herz bricht selten allein
Autoren: Gitta von Cetto
Vom Netzwerk:
erste Arbeitstrupp. Vier Männer begannen die Erde für Annas Haus auszuheben. Alles war schön. Anna umarmte Franzi, umarmte mit ihr die ganze Welt. Die Arbeiter sangen »I bimbi crèscono — le mamma biancono«. Ja, die Kinder wurden groß und die Mütter grau. Anna, plötzlich sentimental, geworden, überlegte sich, welchen Sinnspruch sie in ihr Häuschen einmauern lassen könnte. Immer wieder sah sie Franzis glückliches Gesicht.
    »Einmal haben wir Feueralarm gegeben, weil es plötzlich weiß von der Kombüse heraufquoll und wir dachten, die Piccadilly brennt, aber dann war es nur Evelyne, die fünf Liter Milch hatte überkochen lassen«, erzählte Franzi. »Ach, Mama, es war so himmlisch.«
    Anna saß neben ihrer Jüngsten im Gras. Gras war übertrieben, es war stacheliges, ameisenbevölkertes Kraut. Die vier Männer, mit alten, durchlöcherten Strohhüten auf dem Kopf, arbeiteten mit Pickel und Schaufel.
    »Der erste Spatenstich, ein großer Moment«, sagte Anna feierlich.
    Franzi streckte sich aus, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Die Arbeiter hatten ihre bastumhüllten Flaschen in den Schatten eines verkümmernden Mispelbaumes gelegt.
    Franzi döste mit geschlossenen Augen, und Anna konnte sie ungestört betrachten. Sie beobachtete das Pulsieren der Halsschlagader. Daneben bemerkte sie einen blauen Fleck. Aber sie nahm rasch den Blick weg, als hätte sie ein Sperrgebiet betreten. Warum sahen Mütter immer diese Dinge? Hielten sie Ausschau danach? Anna wollte es nicht wissen, aus irgendwelchen sentimentalen Beweggründen heraus wollte sie einfach nicht wahrhaben, daß ihre kleine, zärtlich geliebte Franzi eine Frau war, verstrickt in ihr eigenes Los, in ihre Hoffnungen, in ihre Enttäuschungen. In ihre Erfüllung? Anna wurde die Brust plötzlich eng. Vielleicht hätte sie sie nicht Franziska taufen sollen, nicht nach Franzi, mit dem sie nie zusammengekommen war.
    Franzi schreckte auf wie aus einem bösen Traum. »Ich glaube, ich war eingeschlafen«, sagte sie.
    Die Kirchenuhr in Capoliveri schlug zehnmal. Die Arbeiter ließen Pickel und Schaufel stehen. Sie streckten sich unter den Nespolo, rückten ganz eng zusammen in dem kärglichen Schatten, packten ihre Brote aus und ließen die Weinflasche kreisen. Manchmal schielten sie zu Anna und Franzi hinüber. Verrückt, diese beiden Frauen, die da in der prallen Sonne lagen.
    Es war auch wirklich verrückt. Anna raffte sich auf. Sie hielt Franzi die Hände hin und zog sie hoch.
    »Komm, wir gehen schwimmen.«

    Das Haus wuchs. Es waren jetzt sieben Arbeiter am Werk. Aber Anna konnte nicht mehr abwarten, bis die Dachbalken gesetzt waren. Das Richtfest würde man im Frühjahr nachholen. Sie hatte in Deutschland zu tun. Bettina wurde ungeduldig in Berlin. Sie wollte Bibi wiederhaben. Die Scheidung war ausgesprochen, das Urteil rechtskräftig geworden. Seggelin bereitete eine gutbürgerliche Hochzeit in Basel vor.
    »Er läßt es sich einfach nicht nehmen. Auch sein Vater legt Wert darauf«, schrieb Bettina. »Zu guter Letzt wird doch noch die Schützengilde > fröhliche Armbrust< aufmarschieren und mir ein Ständchen bringen.«
    Bettina war glücklich und aufgeregt wie eine Braut der Jahrhundertwende, und Anna war glücklich mit Bettina.
    Ihre Rückkehr nach Berlin stand im Zeichen sich häufender Autopannen. Franzi lachte die Mutter aus. »Bist du eigentlich zu gefühlsduselig oder zu schundig, dir einen neuen Wagen zu kaufen?«
    »Beides.«
    Aber Anna sah ein, daß es nun wirklich soweit war. Als sie bei der Einfahrt in die Avus tankte, klopfte sie ihren Wagen ab wie einen alten Gaul. Das war deine Henkersmahlzeit, mein Guter. Du kommst zum Abdecker, da hilft alles nichts.
    Franzi schrieb sich in der Uni ein, sie kämpfte sich durch die Formulare, unterzog sich der vorgeschriebenen ärztlichen Untersuchung und belegte zu viele und nicht immer die richtigen Vorlesungen, wie es den Studenten im ersten Semester leicht passiert. Aber immerhin, der Anfang war gemacht.
    Seit einigen Wochen stand ein neuer Wagen vor Annas Tür, weinrot, vornehm, nach Lack und Kunststoff und einer vierstelligen Zahl riechend. Anna und der Wagen hatten sich nicht ganz gefunden, sie sagten noch Sie zueinander. Dafür hatte Anna das Tagebuch wieder abgestaubt. »Wie glücklich war Franzi in Elba, und jetzt sieht sie so bekümmert aus. Ich mache mir Sorgen. Aber sie ist in steter Abwehr, ich komme nicht an sie ‘ran. Sobald ich ein persönliches Gespräch beginne, kapselt sie sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher