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Ein guter Jahrgang-iO

Ein guter Jahrgang-iO

Titel: Ein guter Jahrgang-iO
Autoren: Peter Mayle
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unregelmäßig, was für Junggesellen typisch war, schlief zu wenig und trank mit Sicherheit mehr als die fünf Gläser pro Woche, die der Vertragsarzt der Firma mit scheinheiligem Vergnügen abgesegnet hatte. Aber er absolvierte sein Lauftraining, komme, was da wolle, und er war ja noch jung. Der vierzigste Geburtstag war noch ein paar Jährchen in der Ferne, und bis dahin würde er sein Leben und seine Finanzen soweit auf die Reihe gebracht haben, dass er häuslich werden und - wer weiß - vielleicht sogar einen zweiten Anlauf wagen könnte, in den Hafen der Ehe einzulaufen.
    Er musterte sich im Rasierspiegel. Blaue Augen, nur leicht blutunterlaufen; dunkelbraunes Haar, kurz geschnitten, wie es derzeit Mode war; die Haut straff über den hohen Wangenknochen. Keine sichtbaren Tränensäcke oder Falten, noch nicht. Könnte schlimmer sein, dachte er, als er über das nasse Badelaken stieg und die Joggingkluft auf den Fußboden des Badezimmers fallen ließ.
    Fünf Minuten später war er gewappnet, in der Einheitskluft des dynamischen Jungmanagers das Finanzuniversum zu erobern: dunkler Anzug, dunkelblaues Hemd, dunkle Krawatte, klotzige Uhr, für Tiefseetaucher entworfen, die Wert darauflegten, pünktlich aufzutauchen. Handy und Autoschlüssel hatte er dabei. Er eilte mit eingezogenem Kopf durch den Nieselregen und stieg in den schwarzen BMW, ein absolutes Muss für alle, die in der City arbeiten - der verkehrsreichen Innenstadt Londons -, wo er heute endlich den seit langem erwarteten Deal unter Dach und Fach bringen würde. Und danach den Bonus. Anschließend würde er seinem Apartment den letzten Schliff geben, sich eine Putzfrau zulegen, die es makellos rein hielt, und ein paar Tage Urlaub nehmen, um nach St. Tropez abzudüsen, bevor die Strandsirenen nach Paris zurückkehrten. Nicht einmal die Wettervorhersage im Radio - vereinzelte Schauer, gefolgt von gelegentlichen schweren Regenfällen, unter Umständen sogar Hagel - konnte seine gute Laune beeinträchtigen. Es würde ein guter Tag werden.
    So früh am Tage hätten zwanzig Minuten eigentlich ausreichen müssen, in die geheiligten Hallen von Lawton Brothers zu gelangen. Selbige befanden sich am oberen Ende der Threadneedle Street - »ein Katzensprung für die Bank of England«, pflegte der dienstältere Lawton-Bruder seinen potenziellen Klienten mit stolzgeschwellter Brust zu sagen. Das Unternehmen war in den achtziger Jahren gegründet worden und hatte in den neunziger Jahren mit der ganzen Branche beispiellos geboomt. Mit Fusionen und Akquisitionen, mit Ein- und Abtauchmanövern hatte es sich den Ruf erworben, ertragsschwache, aber substanzstarke Firmen mit einer Unverfrorenheit auszuschlachten, um die es von vielen Konkurrenten mit mehr Moral und Herz beneidet wurde. Nun wurde Lawton Brothers in der Finanzpresse wegen seiner stählernen, effizienten Führungsriege oft als Aushängeschild der Branche gepriesen, bestens angepasst an die neuen rauen Zeiten. Der Führungsnachwuchs, der die Lehrzeit bei Lawtons überlebte, war abgehärtet und fähig, sich überall zu behaupten.
    Als Max den Ludgate Hill hinunterfuhr, läutete sein Handy. Es war noch nicht ganz halb sieben.
    »Haben wir uns heute Morgen freigenommen, oder was?« Es war Amis' Stimme, näselnd und aggressiv. Er wartete die Antwort gar nicht erst ab. »Wir müssen miteinander reden. Sehen Sie zu, dass Sie spätestens bis zur Mittagspause hier sind. Tracy wird Ihnen sagen, in welchem Restaurant Sie mich finden.«
    War wohl nichts mit meinem guten Tag, dachte Max. Doch wenn er ehrlich war, musste er sich eingestehen, dass kein Tag hundertprozentig gut sein konnte, an dem sein Vorgesetzter anwesend war. Die wechselseitige Abneigung hatte schon bei der ersten Begegnung der beiden Männer in der Luft gelegen, als Amis, nach dreijährigem Aufenthalt frisch aus New York zurückgekehrt, wie ein siegreicher Feldherr Einzug gehalten hatte, um die Leitung der Londoner Niederlassung zu übernehmen. Ihr Verhältnis zueinander war von Anfang an voller Spannungen gewesen, wie es in England so oft der Fall ist, wenn zwei nicht die gleiche Sprache, sondern ein Englisch mit völlig unterschiedlicher Aussprache pflegen.
    Max war das Produkt einer unbedeutenden, aber deshalb nicht minder elitären Public School und einer Mittelklasse-Idylle in der heilen grünen Welt der Berge von Surrey. Amis stammte aus den düsteren Außenbezirken Südlondons, einer Welt für sich, die weder heil noch grün war. Sie waren weniger als
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