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Ein glücklicher Tag im Jahr 2381

Ein glücklicher Tag im Jahr 2381

Titel: Ein glücklicher Tag im Jahr 2381
Autoren: Robert Silverberg
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Seele hat sich von ihm gelöst.
    Mitternacht. Er schläft noch immer nicht. Er liegt unruhig neben Mamelon. Er hat mit ihr geschlafen, und dennoch rasseln seine Nerven in der schweigenden Dunkelheit. Sie weiß, daß er noch wach ist. Ihre Hand berührt ihn. »Kannst du nicht abspannen?« fragt sie.
    »Nicht mehr so leicht.«
    »Möchtest du etwas Tingle? Oder vielleicht etwas stärkeres?«
    »Nein, ich will nichts.«
    »Dann geh doch nachtwandeln«, schlägt sie vor. »Verbrenne etwas von deiner Energie. Du bist ganz aufgedreht, Siegmund.«
    Zusammengehalten durch einen goldenen Faden. Fällt auseinander. Fällt auseinander.
    Vielleicht nach Toledo gehen? Trost und Rat in Rheas Armen suchen. Sie hat ihm immer geholfen. Oder sogar in Louisville nachtwandeln. Bei Nissim Shawkes Frau Scylla vorbeischauen. Eine solche Kühnheit. Aber sie wollten mich doch auf sie stoßen, während dieser Party am Tag der Somatischen Erfüllung. Wollten prüfen, ob ich geeignet bin für die Beförderung nach Louisville. Siegmund weiß, daß er bei diesem Test versagt hat. Aber vielleicht ist es noch nicht zu spät, um es wiedergutzumachen. Er wird zu Scylla gehen. Selbst dann, wenn Nissim dort sein sollte. Seht her, ich habe die verlangte Amoralität! Seht her, ich sprenge alle Fesseln. Warum sollte mir eine Frau in Louisville nicht zugänglich sein? Wir haben alle nach demselben Gesetz zu leben, ungeachtet der Gebräuche, die sich erst in jüngerer Zeit herausgebildet haben. Das wird er sagen, wenn er Nissim antrifft. Und Nissim wird seiner Kühnheit applaudieren.
    »Ja«, sagt er zu Mamelon. »Ich glaube, ich gehe nachtwandeln.«
    Aber er bleibt auf der Schlafplattform. Einige Minuten verstreichen. Ein falscher Impuls. Er will nicht gehen; er täuscht vor, eingeschlafen zu sein, und hofft, daß Mamelon eindösen wird. Noch ein paar Minuten. Vorsichtig öffnet er ein Auge zu einem schmalen Schlitz. Ja, sie schläft tatsächlich. Wie schön sie ist, wie edel ihre Züge sogar während des Schlafs erscheinen. Meine Mamelon. In letzter Zeit hat er selbst nach ihr nur wenig Verlangen gespürt. Langeweile durch Erschöpfung? Erschöpfung durch Langeweile?
    Die Tür geht auf, und Charles Mattern kommt herein.
    Siegmund beobachtet, wie der Soziocomputator auf Zehenspitzen zur Schlafplattform geht und sich leise entkleidet. Matterns Lippen sind aufeinandergepreßt, seine Nasenflügel beben. Zeichen des Verlangens. Sein Glied ist halb aufgerichtet. Mattern ist scharf auf Mamelon; während der letzten beiden Monate hat sich etwas zwischen den beiden entwickelt, und Siegmund vermutet, daß es mehr als bloßes Nachtwandeln ist. Siegmund berührt das kaum. Wenn sie nur glücklich ist. Matterns heftiges Atmen ist unüberhörbar. Er müht sich jetzt, Mamelon zu wecken.
    »Hallo, Charles«, sagt Siegmund.
    Mattern zuckt überrascht zurück und lacht nervös. »Ich wollte dich nicht wecken, Siegmund.«
    »Ich bin noch wach gewesen. Habe dir zugesehen.«
    »Dann hättest du doch etwas sagen können. Um mir dieses Herumschleichen zu ersparen.«
    »Tut mir leid. Ich habe einfach nicht daran gedacht.«
    Mamelon ist jetzt wach. Sie setzt sich auf, bis zur Hüfte unbekleidet. Sie lächelt Mattern zu: die pflichtbewußte Bürgerin, bereit, ihren nächtlichen Besucher zu empfangen.
    »Da du schon hier bist, Charles«, sagt Siegmund, »kann ich dir sagen, daß ich einen Auftrag habe, bei dem ich deine Mitarbeit brauche. Für Stevis. Er will wissen, ob die Leute sich weniger in Schallzentren und mehr bei Gottesmännern und Beratern aufhalten. Eine grafische Darstellung, aus der…«
    »Es ist schon spät, Siegmund.« Kurz angebunden. »Willst du das nicht besser morgen früh mit mir ausmachen?«
    »Ja. Natürlich. Natürlich.« Er errötet. Siegmund erhebt sich von der Schlafplattform. Er muß nicht etwa gehen, weil ein Nachtwandler zu Mamelon kommt, aber er will nicht bleiben. Wie ein Ehemann in Warschau verschafft er dem anderen eine überflüssige und unverlangte Privatheit. Er kleidet sich hastig an. Mattern erinnert ihn daran, daß er selbstverständlich bleiben kann. Aber nein. Siegmund geht, Zorn wallt in ihm auf, er läuft fast den Korridor hinunter. Ich werde nach Louisville gehen, sagt er sich, zu Scylla Shawke. Statt den Liftschacht zu der Ebene zu dirigieren, in der die Shawkes wohnen, weist er die 799. Ebene in Schanghai an. Es wäre zu riskant, wenn er es in seinem jetzigen Zustand mit Scylla versuchen würde. Ein Versagen könnte ihn zuviel kosten.
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