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Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)

Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)

Titel: Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
Autoren: Christine Birkhoff
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nicht erst ans Telefon.
    Als ich Christine ein paar Monate kannte, habe ich ihren Vater zum ersten Mal gesehen. Wir gingen durch die Fußgängerzone der Stadt, als sie mir plötzlich etwas geschockt und freudig überrascht einen fremdländisch aussehenden Mann zeigte, der aus einiger Entfernung auf uns zukam. Sie erzählte mir aufgeregt, dass dies ihr Vater sei, den sie seit der Trennung nicht mehr gesehen hatte. Er war ein ganzes Stück kleiner als ich (so wie fast alle anderen Männer damals auch) und machte auf mich einen harmlosen Eindruck. Als er endlich auf unserer Höhe war, begrüßte Christine ihn total aufgeregt mit einem lauten »Hallo, Papa!«.
    Der Mann verlangsamte noch nicht mal seinen Schritt, während er mit einem kurzen, gleichgültigen »Hallo Christine« an uns vorbeiging. Christine brach fast in Tränen aus, und ich war völlig entsetzt.
    Von Christines Mutter habe ich leider mehr mitbekommen:
    Ich weiß nicht, wie oft ich zu Christine nach Hause kam, weil wir eigentlich verabredet waren, und Christine schrubbend im Badezimmer auf den Knien lag oder gerade das Essen gekocht hatte und jetzt noch die Küche putzen musste, oder ihre Mutter stand Anweisungen gebend im Flur, und ich hörte von ihr nur Sätze wie »Christine, du musst noch zum Metzger«, » Christine, die Schuhe müssen noch abgeholt werden« , »Christine, wenn du einkaufen warst, kannst du noch die Stiefmütterchen aus der Gärtnerei abholen. Ich hab dir hier noch eine Liste gemacht.«
    Ich selbst schrie schon »Kinderarbeit ist verboten«, wenn ich einmal die Woche zu Hause den Flur wischen sollte.
    Besonders prägnant ist mir folgende Szene im Gedächtnis geblieben: Wieder mal ging ich zu Christine in der Hoffnung, sie habe aus Sicht ihrer Mutter schon genug gearbeitet, um mit mir rauskommen zu dürfen.
    Als ich ins Wohnzimmer kam, saß Christine mit einem Stapel Schulhefte vor sich am Wohnzimmertisch. Sie war dabei, die Arbeiten der Schulklasse ihrer Mutter zu korrigieren. Ihre Mutter saß daneben und lackierte sich konzentriert die Fingernägel.
    Christine musste immer mit Bleistift arbeiten, wenn sie fertig war, schrieb ihre Mutter dann die Korrektur mit rotem Füller nach.
    Besonders widerwärtig fand ich schon damals, und heute aus Sicht als Mutter ist es mir noch unverständlicher, wie diese Frau ihre Prioritäten nach dem Suizidversuch ihres einzigen Kindes setzte.
    Die Tür zu Christines Zimmer musste eingetreten werden, um sie von der Vollendung ihres Selbstmordversuches abzuhalten. Bei meinem nächsten Besuch sprach mich Christines Mutter an, ob ich nicht meiner Haftpflichtversicherung melden könne, ich wäre im Vollrausch während einer Party gegen die Tür gestolpert beziehungsweise gefallen und hätte sie so komplett demoliert. Kein Wort über Christines Verzweiflung, Gründe oder Ähnliches. Die einzige Sorge dieser Frau schien die Tür zu sein.
    Mal abgesehen davon, dass die Vorstellung einer Party mit Christine als Gastgeberin mehr als absurd war.
    Insgesamt empfand ich Christines Dasein damals als eine besonders üble Form der Sklavenhaltung seitens ihrer Mutter. Mit Jürgen als »kleinem Lichtblick«, solange Christine »nett genug« zu ihm war.
    Gitta und ich sind mittlerweile beide über vierzig Jahre alt und selbst Mütter. Ich arbeite beruflich unter anderem mit missbrauchten Kindern, und Gitta ist wie Christine Polizeibeamtin.
    Damals wussten wir zwar, dass Christines Familienstruktur mehr als krank und anormal war, hatten aber nicht den Überblick, zu erkennen, welche Mechanismen Jürgen in Gang gesetzt hatte. Selbst wir waren so weit manipuliert, dass wir in Jürgen auch eine Chance für Christine sahen, dem Psychoterror ihrer Mutter einigermaßen unbeschadet zu entkommen. Jedoch ohne dabei zu erkennen, dass Jürgen Christine auch terrorisiert und ausgenutzt hat. Wie ihre Mutter, wie ihr Vater.
    Hilfe zum Beispiel vom Jugendamt oder unseren Eltern zu erlangen, schien uns damals nicht möglich. Es wäre letztendlich immer darauf hinausgelaufen, Christines und unsere eigene Glaubwürdigkeit auf einen Prüfstand, der von den Erwachsenen definiert wurde, zu stellen. Damit wären wir immer chancenlos gewesen. Insbesondere, weil wir nur Kinder waren, die gegen etablierte, in dieser städtischen Gesellschaft geachtete Honoratioren (Lehrerin/Fabrikant) vorgegangen wären.
    Selbst mit diesen Hilfsangeboten halten wir es nach wie vor für schwierig, Kindern wie Christine zu helfen, ohne das Opfer noch einmal zu
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