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Ein diplomatischer Zwischenfall

Ein diplomatischer Zwischenfall

Titel: Ein diplomatischer Zwischenfall
Autoren: Agatha Christie
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Stadt aufgewachsen war, beschloss, dass ihr Garten – falls sie je einen haben sollte – niemals ein Steinbeet enthalten würde, das mit der Hand gejätet werden musste. Dann machte sie sich an ihre Arbeit.
    Als Mrs Cresswell um halb zwölf mit dem Kaffee in die Bibliothek kam, war sie offenbar in sehr schlechter Laune. Sie knallte das Tablett auf den Tisch und bemerkte zu der Welt im Allgemeinen:
    »Gäste zum Lunch und nichts im Hause! Ich möchte bloß wissen, wie ich das schaffen soll. Und Alfred nirgends zu sehen!«
    »Er fegte Laub in der Einfahrt, als ich ankam«, wagte Lou zu bemerken.
    »Das kann ich mir denken. Eine schöne, bequeme Arbeit.«
    Mrs Cresswell rauschte aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.
    Lou schmunzelte vor sich hin und fragte sich im Stillen, wie der »Neffe« wohl sein mochte.
    Sie trank ihren Kaffee aus und stürzte sich wieder in ihre Arbeit, die sie so fesselte, dass die Zeit rasch verging. Als Nathaniel Greenshaw ein Tagebuch zu führen begann, hatte er sich durchaus keine Zurückhaltung auferlegt. Während Lou eine Stelle tippte, die sich auf die persönlichen Reize einer Bardame in der benachbarten Stadt bezog, kam sie zu der Ansicht, dass noch sehr viel Redaktionsarbeit geleistet werden müsse.
    Aus diesen Gedankengängen wurde sie plötzlich durch einen Schrei vom Garten her aufgeschreckt. Sie sprang auf und rannte ans offene Fenster. Miss Greenshaw kam gerade schwankend vom Steinbeet auf das Haus zu. Sie hatte die Hände an die Brust gepresst, und zwischen ihnen ragte ein gefiederter Schaft hervor, den Lou voller Bestürzung als den Schaft eines Pfeiles erkannte. Miss Greenshaws Kopf, auf dem der mitgenommene Strohhut thronte, sank auf die Brust herab. Mit versagender Stimme rief sie zu Lous Fenster empor:
    »… getroffen… er hat auf mich geschossen… mit einem Pfeil… holen Sie Hilfe…«
    Lou stürzte zur Tür. Sie drehte den Knopf, aber die Tür ließ sich nicht öffnen. Nach einigen vergeblichen Bemühungen merkte sie, dass sie eingeschlossen war. Sie lief wieder ans Fenster zurück.
    »Ich bin eingeschlossen!«
    Miss Greenshaw, die Lou den Rücken zugewandt hatte, stand ein wenig schwankend auf den Füßen und rief zu dem etwas weiter gelegenen Fenster der Haushälterin hinauf:
    »Rufen Sie die Polizei… telefonieren Sie…«
    Wie eine Trunkene von Seite zu Seite torkelnd, verschwand sie dann aus Lous Gesichtskreis durch die Glastür, die in den Salon führte. Einen Augenblick später vernahm Lou das Krachen von Geschirr, einen schweren Fall, dann war es still. In ihrer Fantasie malte sie sich die Szene aus, Miss Greenshaw musste blindlings gegen einen kleinen Tisch mit einem Teeservice aus Sèvresporzellan getaumelt und dann gefallen sein.
    Verzweifelt hämmerte Lou an die Tür und rief aus Leibeskräften. Außen am Fenster gab es weder Ranken noch Abflussrohre, an denen sie hätte hinunterklettern können. Nachdem sie lange vergeblich an die Tür gehämmert hatte, kehrte sie zum Fenster zurück und sah, wie der Kopf der Haushälterin am Fenster ihres Wohnzimmers erschien.
    »Kommen Sie doch bitte, Mrs Oxley, und lassen Sie mich heraus. Ich bin eingeschlossen.«
    »Ich auch.«
    »Du liebe Güte, ist das nicht schrecklich? Ich habe die Polizei angerufen. In diesem Zimmer ist nämlich ein Telefonanschluss. Aber ich kann ganz und gar nicht verstehen, Mrs Oxley, warum wir eingeschlossen sind. Ich habe überhaupt nicht gehört, wie der Schlüssel umgedreht wurde. Sie etwa?«
    »Nein. Ich habe auch nichts gehört. Lieber Himmel, was sollen wir bloß machen? Vielleicht kann Alfred uns hören.«
    Lou rief aus voller Kehle: »Alfred, Alfred!«
    »Ist wahrscheinlich zum Essen gegangen. Wie spät ist es eigentlich?«
    Lou blickte auf ihre Uhr.
    »Fünfundzwanzig nach zwölf.«
    »Er soll eigentlich erst um halb eins gehen. Aber sobald er kann, schleicht er sich früher davon.«
    »Glauben Sie – glauben Sie…«
    Lou wollte fragen: Glauben Sie, dass sie tot ist? Aber die Worte blieben ihr im Halse stecken.
    Es blieb nichts anderes übrig, als zu warten, und sie setzte sich auf die Fensterbank. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die behelmte Gestalt eines Polizisten um die Ecke des Hauses bog. Lou lehnte sich aus dem Fenster, und er blickte zu ihr hoch, wobei er die Augen mit der Hand beschattete. Als er sprach, klang seine Summe sehr vorwurfsvoll.
    »Was geht denn hier vor sich?«, fragte er.
    Von ihren verschiedenen Fenstern aus überschütteten Lou und Mrs
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