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Ein delikater Liebesbrief

Ein delikater Liebesbrief

Titel: Ein delikater Liebesbrief
Autoren: Eloisa James
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neugierig.
    Der zärtliche Ausdruck in seinen braunen Augen verwirrte sie ein wenig.
    »Ich reise selten aufs Land«, erklärte er. »Ich fürchte, die Freuden des Landlebens erschließen sich mir nicht.«
    Das glaubte Henrietta unbesehen. Selbst jetzt, mit Anabels Erbrochenem besudelt, wirkte er im rustikalen Limpley Stoke wie ein Pfau unter Hennen.
    »Werden Sie lange bei Ihrer Tante bleiben?«
    »Das hängt davon ab«, gestand er und schaute sie neugierig an. »Von den Freuden des Landlebens. Ich muss gestehen, dass ich in diesem Punkt bereits … eine Überraschung erlebt habe.«
    Henrietta wäre fast in Gelächter ausgebrochen, unterdrückte jedoch die Anwandlung von Heiterkeit. Es hätte keinen Sinn gehabt, einen so eleganten Dandy in die Schranken zu weisen, wenn dieser vollauf damit beschäftigt war, ihr den Hof zu machen. Natürlich hatte er keine Ahnung, dass er sich vergeblich bemühte.
    Als Henrietta wieder auf der High Street war, wobei sie ihr rechtes Bein bei jedem Schritt ein wenig nachzog, traf sie vor dem Geschäft des Stoffhändlers auf ihre Schwester Imogen.
    »Henrietta!«, rief Imogen. »Da bist du ja! Ich habe die ganze Straße nach dir abgesucht.« Sie stutzte. »Was in aller Welt ist dir denn passiert? Was ist das für ein abscheulicher Gestank ?«
    »Es ist nichts Schlimmes passiert«, antwortete Henrietta und bestieg die Kutsche. »Obwohl ich fürchte, dass mein Kleid sehr gelitten hat.« Mit der behandschuhten Rechten drückte sie auf ihre schmerzende Hüfte. Diese pochte so stark, dass Henrietta sich auf ein starkes Hinken gefasst machen musste, das vermutlich ein bis zwei Tage andauern würde.
    »Wie fühlst du dich?«, fragte Imogen. »Tut dir die Hüfte weh?«
    »Ich bin bloß müde. Ich habe die Bekanntschaft eines kleinen Mädchens gemacht, und ich fürchte, sie hat auf mein Kleid gespuckt.«
    »Nun, das sollte dich von deiner Begeisterung für Kinder kurieren«, sagte Imogen fröhlich. »Denn du stinkst wirklich , Henrietta.«
    Henrietta seufzte. Imogen meinte, seit ihrem sechzehnten Geburtstag freimütige Bemerkungen machen zu dürfen, weil sie es für sehr erwachsen hielt.
    »Du musst dich ausruhen«, schlug Imogen vor. »Obwohl ich fast glaube, dass dieser kleine Ausflug dir gutgetan hat. Du bist nämlich nicht so blass wie sonst.«
    Henrietta wusste auch ohne Imogens Hinweis, dass sie üblicherweise einen geisterblassen Teint hatte. Wenigstens das hatte nichts mit ihrem Gebrechen zu tun. Papa hatte immer darauf beharrt, dass Henrietta den Teint von ihrer Mama geerbt hatte.
    Als sie noch klein war, pflegte sie stundenlang auf die Miniatur der Frau zu starren, die bei ihrer Geburt gestorben war. Und sie hatte sich gefragt, ob ihre seltsamen Gesichtszüge jemals so schön werden würden wie die ihrer Mutter.
    Das Problem war, dass sie jetzt zwar ganz annehmbar aussah, dies jedoch keine Rolle mehr spielte. Henrietta war durch ihr Hinken und ihr Unvermögen zur Ehe auf Lebenszeit gebrandmarkt.
    So lange sie zurückdenken konnte, war sie sich ihres Gebrechens immer bewusst gewesen. Am Schmerz lag es nicht. Denn wenn sie nicht gerade lange Spaziergänge machte oder schwere Lasten trug, tat es gar nicht so weh. Aber ihre Mutter hatte unter dem gleichen Gebrechen gelitten und sie war bei Henriettas Geburt gestorben. Henrietta wusste es schon seit Jahren. Wenn sie ein Kind bekäme, würde sie sterben, so wie ihre Mutter gestorben war.
    Als sie eines Tages die Wahrheit erfuhr, weinte sie bitterlich. Ihr Vater fand sie so und fragte, was sie habe. Als sie es schließlich unter Schluchzen hervorbrachte, nahm er sie in die Arme und versprach, sie würde niemals unter ihrem Gebrechen leiden müssen, denn sie würde nicht heiraten.
    »Du bleibst zu Hause, bei mir. Wer braucht schon einen Ehemann?«, fragte er gespielt grimmig und sie, im zarten Alter von neun Jahren, stimmte ihm eifrig zu.
    »Ich will dich niemals verlassen, Papa«, sagte sie.
    »Und das wirst du auch nie«, antwortete er zärtlich und küsste sie auf die Stirn.
    Jetzt war Henrietta dreiundzwanzig Jahre alt. Ihr Papa war schon seit zwei Jahren tot und die Freier standen nicht gerade Schlange.
    Die Wahrheit schmerzte. Ja, Vater hatte nur zu deutlich gemacht, dass er ihr niemals erlauben würde, zu heiraten. Doch die Männer wollten ohnehin nichts mit ihr zu tun haben, wenn sie von ihrem Gebrechen hörten. Wer wollte schon eine Frau haben, die aller Voraussicht nach im Kindbett sterben und wahrscheinlich noch das Kind mit sich
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