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Ein Braeutigam und zwei Braeute

Ein Braeutigam und zwei Braeute

Titel: Ein Braeutigam und zwei Braeute
Autoren: Isaac Bashevis Singer
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lange ins Gebet versunken stehen. Der Vorbeter hatte nicht die Geduld, abzuwarten, bis er geendet hatte, und setzte mit der Wiederholung ein. Infolgedessen verpaßte der Konvertit die Keduscha, was ihn erzürnte.
      »Sie beten viel zu hastig«, beschwerte er sich. »Sie vergessen, daß Sie zu Gott sprechen.«
      Der Konvertit hatte offensichtlich die heiligen Texte studiert und kannte die Gesetze, denn er fragte: »Seid ihr beim Geldzählen auch so schnell? Man soll beten, wie man Geld zählt.«
      Er habe recht, räumten die Chassidim ein. Misnagdim waren sie darum aber noch lange nicht. Zwar hatten sie sich bei dem Konvertiten entschuldigt und ihm recht gegeben, aber am nächsten Tag wiederholte sich die Szene. Der Konvertit schrie, hämmerte mit seinen schweren Fäusten auf den Tisch und brüllte, der Messias werde nicht kommen, weil die Juden sündigten.
      Noch mehr Schwierigkeiten mit ihm hatten die Jungen. Allesamt schwatzten sie während der Gebete, rannten herum, zwickten einander und kicherten. Der Konvertit tobte, daß das Haus wackelte. Am meisten ärgerte ihn, daß die Grünschnäbel nicht an den richtigen Stellen »Gepriesen sei Er und gepriesen sei Sein Name« und »Amen« sagten. Wenn er selbst mit sonorer Stimme rief: »Gepriesen sei Er und gepriesen sei Sein Name« und »Amen«, erzitterten die Wände. Seine gojische Frömmigkeit weckte bei den Jungen und selbst bei den Erwachsenen einen unwiderstehlichen Drang zu lachen. Sogar der Kantor mußte mitten im Gebet in die vorgehaltene Hand lachen.
      Am Jom Kippur tat der Konvertit etwas völlig Verrücktes: anstatt in Socken stand er barfuß da. Seine Füße waren riesig und seine ungewöhnlich weit auseinanderstehenden großen Zehen wurden von unförmigen Zehennägeln gekrönt. Ein kurzer Blick auf diese Füße genügte, um einen zum Lachen zu bringen. Am Abend des Jom Kippur, während des Kantors »Kol Nidre«, hatte die gesamte Gemeinde einen Lachkrampf. Sie schlugen sich an die Brust während des Sündenbekenntnisses und glucksten in ihre Gebetbücher für die Hohen Feiertage.
      Der Konvertit stand da, in weißem Leinenkittel und in einen Gebetsmantel gehüllt. Wenn er sich gegen die Brust trommelte, hallte die heilige Stätte davon wider, ebenso wie von seinem erbarmenswürdigen Jammern. Seine Gestalt hob sich von allen anderen Gebetsmänteln und Leinenkitteln ab. Er trug eine goldbestickte Jarmulke und sah damit nicht wie ein Jude, sondern wie einer jener Heiligen aus, die die Christen auf Kirchenwände malen. Die Chassidim kamen zu dem Schluß, daß sie diesen Iwan loswerden mußten – nur wie? Dürfen Juden einen Goi vertreiben, der das Joch der Jüdischkeit auf sich genommen hat? War er nicht ein Zaddik, ein heiliger Mann?
      Nach dem Gebet zum Ausgang des Tages ging der Konvertit nicht nach Hause, sondern verbrachte die Nacht im Bethaus. Die ganze Nacht lang sang er Psalmen. Am nächsten Morgen machte er eine Szene, bevor die Tora aus der Heiligen Lade gehoben wurde. Der Gabbai hatte mit der Versteigerung der »Aufrufe« zur Tora begonnen und wiederholte in lautem Singsang: »Sechs Złoty zum ersten, sechs Złoty zum zweiten, sechs Złoty zum … zum … sechs Złoty zehn …« Kaum hatte der Gabbai die letzten Worte gerufen, schrie der Konvertit lauthals: »Was geht hier vor? Geld, Geld, Geld!«
      Er stampfte mit seinen bloßen Füßen auf, fuchtelte mit den Fäusten und brüllte: »Złoty, Złoty, Złoty … Es ist Jom Kippur! Flegelhaftes Pack! … Ihr versündigt euch! Ihr entweiht den Namen des Herrn!«
      »Frechheit!« kreischte jemand.
      »Goi bleibt Goi!« rief ein junger Mann.
      »Selber Goi«, gab der Konvertit zurück. »Jom Kippur ist ein heiliger Tag. Der heiligste Tag des Jahres. Gott vergibt uns unsere Sünden, und ihr macht Geschäfte, Geschäfte … genauso wie dazumal im heiligen Tempel … Darum wurde er zerstört … Darum kommt der Messias nicht!«
      Und der Konvertit brach in Tränen aus – ein heiseres männliches Weinen, das die anderen erschaudern ließ. Alles verstummte.
      Dann rief der Gabbai laut: »Wir müssen unser Bethaus unterhalten … Wir brauchen Kohle für den Winter. Wir müssen Miete zahlen.«
      »Am Jom Kippur ist es verboten, vor der Toralesung Geschäfte zu machen«, erwiderte der Konvertit.
      »Wir brauchen keine Belehrung darüber, wie Juden sich verhalten sollen.«
      »Es ist verboten«, sagte er.
      Nach einer Weile wurde das chassidische Bethaus den
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