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Ein Braeutigam und zwei Braeute

Ein Braeutigam und zwei Braeute

Titel: Ein Braeutigam und zwei Braeute
Autoren: Isaac Bashevis Singer
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Geschichten. Trotzdem, wenn jemand zu ihm kam, durfte er ihn, Gott bewahre, nicht hinauswerfen.
      Mutter saß mit am Tisch. »Eine Frau hat ein besseres Gespür für das, was in einem Haus gebraucht wird, als ein Mann«, sagte sie. »Ein Mann sollte sich am besten nicht in die Haushaltsführung einmischen.«
      »Solange die Frau nicht den letzten Groschen ausgibt. Normale Frauen kaufen ein, wenn sie etwas brauchen. Aber sie kauft einfach so. Es ist der helle Wahnsinn. Wir haben genug Fleisch im Haus. Einem Schächter geht das Fleisch nie aus. Ich kriege Hühner, Gänse, Enten, sogar einen Truthahn zu Pessach. Was brauchen wir Rindfleisch, wenn wir jeden Tag Huhn essen können? Und trotzdem rennt sie jeden Tag zur Fleischbank und kauft ein Stück Rind, Kischke und was weiß ich noch! Wenn sie es wenigstens essen würde. Aber sie riecht bloß daran und legt es beiseite, was im Winter vielleicht noch angeht; aber im Sommer verdirbt das Fleisch und fängt an zu stinken … und das führt zu den schlimmsten Krankheiten.«
      Auch ich lauschte und kam zu dem Schluß, daß beide Seiten im Recht waren. Aber ich begriff nicht, warum er an ihren unreinen Tagen zu ihr kam. Beinahe hätte ich gefragt, hielt aber meinen Mund.
      Eine Weile sprach niemand. Der Docht in der Lampe saugte das Petroleum auf. Dann sagte Wolf der Schächter: »Man hat mir geraten, nach Amerika zu gehen.« Er sprach »Amerika« mit hartem gerolltem R aus.
      »Nach Amerika? Wieso ausgerechnet dahin?«
      »Schächter verdienen dort ein Vermögen.«
      »In Amerika kann man nicht Jude sein«, sagte Vater.
      »Es sind Juden, es sind Juden«, antwortete Wolf der Schächter. »Ein Schächter ist dort auch Beschneider, und das ist ein Beruf, der einen reich macht. Ich habe mal einen kleinen Schächter gekannt, einen regelrechten Schlemihl, einen Dummkopf und Tölpel. Einmal hat er einen Hahn geschächtet, und obwohl er ihm einen Schnitt in den Hals beigebracht hatte, ist das Tier herumgerannt und hat gekräht. Hat sogar mit dem Kopf geruckt und gepickt.«
      Mutters Gesicht wechselte die Farbe. »Erzählen Sie uns doch nicht solche Geschichten!«
      »Aber es ist die Wahrheit. Der Schlemihl hatte den Schnitt nicht an der richtigen Stelle gemacht. Danach durfte er nicht mehr als Schächter arbeiten und ging darum nach Amerika. In New York ist er ein reicher Mann geworden. Dort braucht ein Schächter nicht einmal einen Bart zu tragen.«
      »Sie scheren sich den Bart?« rief Vater aus.
      »Es heißt, sie machen das mit einer Art Pulver. Wir haben eine Photographie von ihm bekommen, und auf der steht er da mit nacktem Gesicht und sieht aus wie ein Dandy aus der Marszalkowska. Ich habe ihn gar nicht wiedererkannt. Er hat sich auch scheiden lassen und ein Mädchen aus New York geheiratet.«
      »Und was ist aus seiner ersten Frau geworden?« fragte Mutter.
      »Was weiß ich?«
      Es juckte mich auf der Zunge. Du hast dir auch den Bart geschnitten, wollte ich rufen, aber ich hielt mich mit aller Macht zurück.
      Dann sagte Vater: »Was soll das alles? Wir leben nicht ewig und müssen am Ende Rechenschaft ablegen. Auch in Amerika leben die Menschen nicht ewig.«
      »Nein, aber solange man lebt, lebt man richtig!« beharrte Wolf der Schächter. »Dort ist ein Schächter so etwas wie hier ein Stadtschreiber. Er arbeitet ein paar Stunden und kann dann tun, was er will. Die Schächter dort tragen moderne Kleidung wie die Franzosen oder die Deutschen und gehen im Park mit ihren Frauen spazieren. Und wenn sie schächten, tragen sie weiße Schürzen.«
      »Aber wer prüft ihre Schächtmesser?«
      »Wer braucht denn diese Überprüfungen? Der Schächter selber kennt das Gesetz. Und wenn nicht, dann macht es auch nichts. In Amerika studiert ein Schächter nicht Tewuot Schor * . Er sieht nur ein Regelbüchlein durch oder studiert den Jore Dea **  und den Be'er Hetew *** . Und es versteht sich von selbst, daß er auch die Pri Me gadim nicht zu Rate zieht. Das Wichtigste da drüben ist, daß alles schnell geht. Die Gojim töten ihre Tiere mit einer Maschine …«
    *
       Tewuot Schor – enthält Gesetze für die rituelle Schlachtung; sehr gebräuchliche Textsammlung.
    **
       Jore Dea – Ab schnitt des Schulchan Aruch über rituelles Schlachten.
    ***
       Be'er Hetew, Pri Megadim – Kommentare zum Schulchan Aruch, meist darin mitenthalten (Anm. d. Verf.).

    »Jetzt reicht's!«
      Der Schächter ging. Ein paar Tage später
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