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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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Würden Sie auch Albert v. Schirnding über diese Änderung benachrichtigen? Es freut mich, dass Sie gut miteinander ausgekommen sind.«
    In meinem Brief hatte ich Jünger noch eine andere Frage gestellt. Da Albert von Schirnding Ende 1960 seine Referendariatszeit mit dem Assessorexamen abgeschlossen hatte und er bald in den Schuldienst eintreten würde, hätte er dann keine Zeit mehr für seinen Feriendienst in Wilflingen. Natürlich waren seine Aufenthalte bei Jünger häufig Thema unserer Unterhaltungen, und als wir mal wieder über Jünger und Wilflingen sprachen, fragte ich ihn, was er, der doch nicht mehr den Secretarius bei Jünger machen könne, davon halte, wenn ich mich bei Jünger als sein Nachfolger bewerben würde. Da er sofort einverstanden war, fragte ich Jünger also, ob er mich in dieser »Stellung« gebrauchen könne, ich könnte gleich nach meinem Wehrdienst am 1. April antreten. Seine Antwort: »Bei der Ordnung meiner Post handelt es sich um keine ›Stellung‹. Daß Sie die Masse, die sich leider wieder angesammelt hat, in die Mappen leiten wollen, ist kein übler Gedanke. Sie würden natürlich im Hause wohnen und essen und mich auf meinen Gängen begleiten, die teils in den Wald, teils in die Dörfer, aber auch einmal nach Riedlingen, Tübingen oder Überlingen führen. Freilich muß ich erst Albertus fragen, da er das ältere Anrecht hat. – Der 1. April wäre so übel nicht. Ich muß in den nächsten Jahren noch die mir fehlenden Reviere der Welt kennen lernen und will im Februar mit Ägypten anfangen. Im Mai kommt, wie seit Jahren, Sardinien an die Reihe.«
    Da ich Anfang Januar ein paar Tage frei hatte, fragte ich in Wilflingen an, ob es genehm wäre, wenn ich in Sachen Mantrana kurz vorbeischaute. Bei diesem dreitägigen Besuch, in dem ich erstmals im Hause wohnte, wurde Mantrana eigentlich begraben – weder war es in der komplizierten Form, die ich vorgeschlagen hatte, praktikabel, noch erschien es in der vereinfachten Form als Maximensammlung, die Jünger vorgeschlagen hatte, sinnvoll – in meinen Notizen von damals steht: »Drei Tage bei EJ . Mantrana wird nicht nur vereinfacht, sondern ausgelöscht. Es bleibt eine blinde Sammlung von Maximen, die teilweise glänzend sind. Oft aber auch Plattheiten. Albert v. Schirnding war sichtlich erleichtert von dieser Wendung. Uns blieb viel Arbeit erspart.«
    Und noch etwas anderes habe ich mir damals notiert. Ich war am Donnerstag angereist, und am Samstag fuhren wir zusammen über Riedlingen Richtung Ulm, Jünger fuhr nach München, ich musste zurück in den Fliegerhorst nach Ingolstadt. Auf dem Ulmer Bahnhof war es wegen einiger Verspätungen rappelvoll, und auch wir mussten auf unsere Züge etwas warten. Jünger, im grauen Mantel, Hut, eine Aktentasche in der Hand, von einem mittleren Beamten kaum zu unterscheiden, sagte, auf die Menschenmenge um uns herum deutend, plötzlich ganz unvermittelt zu mir: »Nigromontan ist unter ihnen, und sie wissen’s nicht.« Ich verstand sofort: Er selbst war Nigromontan, der geheimnisvolle Lehrer der »Schleife«, ja, und wohl auch der weise Seher, der unerkannt unter der Menge stand. Ich wunderte mich.
    Ein weiteres Mal noch war ich in Wilflingen, bevor ich meinen ›Dienst‹ als Secretarius antrat: bei einem Kurzbesuch am Aschermittwoch 1961. Jünger zeigte mir meinen ›Arbeitsplatz‹ und die Schränke mit den Korrespondenzmappen, in die jene Massen an Briefen zu leiten waren, die sich da angesammelt hatten; auch die ungeordneten kleinen Tagebücher, die er während des Ersten Weltkriegs geführt hatte und die zu versorgen wären; und er meinte: »Wenn Sie dann hier sind, können Sie alles lesen, was sich hier in Jahrzehnten angesammelt hat. Und Sie müssen auch Briefe beantworten, vor allem an jüngere Leser, die mir immer mehr schreiben.« Dann zeigte er mir das neue Buch »J’ai Choisi L’opium« von Banine, einer Freundin aus seiner Pariser Zeit, Tochter eines Aserbaidschaner Ministers, die sich in den 1920er Jahren aus einer mit 15 Jahren beschlossenen Zwangsehe befreit hatte und nach Paris geflohen war. Sie war mit Hilfe eines jungen, inzwischen verstorbenen Kaplans vom Islam zum Katholizismus konvertiert – dessen Schwester Hilde heiratete im April: »Da sind wir eingeladen, Sie auch.«
    Nachmittags holte uns Dr. Margret Blersch, Jüngers Hausärztin, mit dem Wagen ab zum traditionellen aschermittwöchlichen Schneckenessen im Riedlinger »Hasen«. Schnecken hatte ich bis dahin nicht
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