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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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auch ein paar Sätze, die ich behalten hatte, ins Tagebuch geschrieben – Worte des Autors, Goldnuggets: »Darum verstehe ich ja auch die Christen nicht, weil sie Gott nur als Vater sehen. Wo bleibt die Mutter?« Heute, da ich dies wieder lese, denke ich: Vielleicht suchte und fand er diese Mutter schließlich aufgehoben im Marienglauben der katholischen Kirche, zu der dieser Urprotestant am Ende seines Lebens, mir völlig unverständlich, konvertierte? Dann: »Ich komme mir selbst gar nicht so gegensätzlich vor, wie manche meinen« – der Grundtenor seiner beharrlichen Einschätzung von der Einheit seines Werks. Und: »Man geht nicht zweimal durch denselben Strom.« Auch dieses Heraklit-Zitat gehörte, wie ich bald merkte, zu seiner Grundausstattung.
    Jünger führte mich durchs Haus, zeigte mir kostbare Bücher, ich erinnere eine Hölderlin-Erstausgabe, seine in opulente repräsentative Maroquinlederschatullen eingelegten Manuskripte, auch die Käfersammlung in den Schränken auf dem Flur und in seinem Arbeitszimmer einige alte Sanduhren, über die er 1954 eines seiner schönsten diskursiv erzählenden Bücher geschrieben hat: »Das Sanduhrbuch« – fast eine Anthropologie über die unterschiedlichen Zeiten und die sich durch die Zeiten wandelnden Räume des Menschen. Und beim Gang durch den schönen Bauerngarten zeigte er mir Ammoniten aus einem Steinbruch in der Umgebung. Als ich mich am späten Nachmittag verabschiedete, schenkte er mir drei Seiten eines Manuskripts: »Pariser Traum«.
    Jünger hatte bei meinem Besuch eine Art Domino-Spiel mit Maximen erwähnt, das er entworfen habe. Ich erinnerte mich daran bei der Lektüre von Hesses »Glasperlenspiel«, über das ich mit einem Freund sprach, und fragte bei Jünger nach, was es mit dem erwähnten Spiel auf sich habe. Er schrieb sofort zurück, das Spiel heiße Mantrana und werde gegenwärtig betreut von Albert von Schirnding, der in Ingolstadt als Studienreferendar arbeite, Adresse anbei. Da ich bei Ingolstadt stationiert war, besuchte ich Albert von Schirnding Anfang Dezember 1960. Wir verstanden uns auf Anhieb, gingen an den Wochenenden spazieren, ins Kino und ins Theater, saßen abends hin und wieder beim Wein zusammen, und er erzählte viel von seiner Zeit bei Jünger – er war für einige Jahre in den Semesterferien eine Art Sekretär bei Jünger gewesen, eine Hilfskraft für das Sortieren der Post und andere kleinere Arbeiten. Er führte mich ein in das Maximenspiel Mantrana. Dazu hatte Jünger eine »Einladung zu einem Spiel« verfasst, die der Verleger Ernst Klett zu Neujahr 1959 als Privatdruck an die Freunde Ernst Jüngers verteilt hatte – darin hieß es: » MANTRANA ist ein Flächen- und Raumdomino. Es wird mit Maximen gespielt. Sie seien ›Steine‹ genannt. Das Spiel ist korrespondierend und kollektiv. Mitwirkende sind der Spielleiter und seine Gehilfen und beliebig viel Mitspieler.«
    Albert bat mich, an der Betreuung des Spiels mitzuarbeiten – er wollte Jünger dies vorschlagen, da er nun kaum noch Zeit habe, sich dem Spiel ganz zu widmen. Wir erarbeiteten die ersten Spielzüge, suchten aus den bis dahin 300 eingesandten Maximen die tauglichen aus und ordneten sie nach verschiedenen Themen: Natur, Ehe, Mensch, Fortschritt, Staat, Recht usw. – die meisten Maximen handelten von den Themen Leben und Tod, die Jünger in seiner Spielanleitung vorgegeben hatte. Sie sollten nun inhaltlich aufeinander bezogen und einander sinnvoll folgend in thematischen »Trassen« geordnet werden, an die jeweils verzweigende »Ansätze« angelegt und zu neuen Themen und Themen-Trassen führen sollten. Wie das alles in Gang gesetzt und realisiert werden sollte, war uns ziemlich schleierhaft.
    Deshalb schrieb ich Jünger am 16. Dezember 1960 einen langen Brief, in dem wir ihm einige Vorschläge machten, wie das Spiel möglicherweise gestartet und dann weiterhin gestaltet werden könne; wir hatten aber Zweifel, ob die sehr allgemeinen Hinweise Jüngers in seiner »Einladung« dazu ausreichten, das Spiel in Gang zu bringen und es in der vorgestellten Komplexität überhaupt, vor allem im Druck, zu realisieren; denn das Ganze war ja als ein Druckwerk in Lieferungen gedacht.
    Jünger antwortet postwendend am 17. Dezember: »Daß Sie mit Mantrana vorankommen, freut mich. Das Spiel macht mir Kopfzerbrechen. Ich will es vereinfachen. Damit bedarf auch meine Einführung einer Revision. Wir lassen es am besten auf eine reine Maximensammlung hinauslaufen. (…)
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