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Eifel-Wasser

Eifel-Wasser

Titel: Eifel-Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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einer Stewardess eine halbe Stunde lang über eine Uhr. Er sagte: »Mein Vater bezahlt. Und ich finde die Uhr klasse. Aber gibt es die auch mit einem anderen Armband?« Die Stewardess sagte »Nein«, aber der Junge wollte sie unbedingt dazu bewegen, das Band einer anderen Uhr zu verwenden. Die junge Frau war genervt und die Umsitzenden lachten, weil der Junge nicht aufgab. Und während er redete, fraß er schmatzend irgendein Süßzeug aus der Tüte und sein Vater strahlte vor Stolz.
    Rodenstock erwartete uns am Ausgang, schubste uns vorwärts in eine Tiefgarage. »Emma hat eine Portion Spaghetti mit Öl und Knoblauch vorbereitet. In diesem Koffer ist das Geld?«
    »Ja«, sagte Vera. »Lieber Himmel, bin ich müde.«
    »Hat Kischkewitz die Kinder schon vernommen?«, fragte ich.
    »O nein«, erwiderte er. »Er will nichts falsch machen. Das wird eine schwierige Kiste, eine ganz schwierige Kiste. Niemand außer uns und der Mordkommission weiß bis jetzt von dem Verdacht.«
    »Nun hat sich diese ganze chaotische Geschichte zu einer Familientragödie verengt«, seufzte Vera, als wir längst auf der Autobahn waren.
    »Das kann man so sehen«, nickte Rodenstock und wechselte die Fahrbahn, um einen Lkw zu überholen. »Und immer noch ist gar nicht sicher, wer Breidenbach tatsächlich getötet hat. Wir können immer noch nicht ausschließen, dass Maria Breidenbach die Tat beging.«
    »Aber wie soll die den toten Messerich in die Wildschweinsuhle befördert haben können?«, fragte Vera scharf.
    »Vielleicht gar nicht. Vielleicht tat sie es auch gemeinsam mit ihrem Mann, bevor der getötet wurde.«
    »Glaubst du denn inzwischen, dass Abi gegen elf Uhr vom Tatort verschwand? Können wir ihn als Mörder wirklich ausklammern?«, fragte ich.
    »Ich neige zu einem Ja«, sagte er. »Die Auftraggeber von Schwanitz hatten Breidenbach viel Geld bezahlt. Es konnte nicht in ihrem Interesse liegen, ihn zu töten. Ganz einfach, weil das zum einen zu viel Aufsehen erregt hätte, zum anderen war Breidenbach der Schlüssel zu dem Geld. Solange sie es nicht zurückhatten, machte sein Tod keinen Sinn.«
    »Was wäre denn, wenn wir Maria Breidenbach zu einem Gespräch bitten würden?«, fragte Vera.
    »Das ist zu früh«, widersprach Rodenstock hastig. »Wir müssen jetzt genau überlegen, was wir tun. Ein einziger falscher Zug und wir enden in einer Sackgasse.«
    »Verdammt noch mal!«, explodierte Vera. »Was soll diese Vorsicht? Es geht um Mord. Wenn wir den Verdacht haben, dass die Kinder oder ein Kind, dass die Ehefrau oder die Ehefrau zusammen mit einem Kind oder beiden Kindern es getan hat, muss man sie zum finalen Verhör bitten!«
    Eine Weile herrschte Schweigen. Rodenstock wechselte wieder die Spur.
    »Denk doch mal nach, junge Frau«, begann er im Stakkato. »Ein Mann bricht aus seinem biederen Leben als Familienvater aus, erlebt sein Coming-out, hat eine Liebesgeschichte mit dem besten Freund des Sohnes. Die Familie geht daran kaputt, weil sie sich nicht ausspricht, jeder ist mit seinem Kummer allein. Nun wird der Vater getötet. Von der Ehefrau und, oder von einem Kind, von beiden Kindern. Dahinter steckt ein unglaubliches Gefühlschaos, was da durchlebt wird, das kann zu einem geradezu erschlagenden Trauma führen, zu einer solch starken seelischen Erschütterung, dass die Überlebenden nur eine Möglichkeit haben, damit fertig zu werden: Sie müssen das Geschehen so schnell wie möglich verdrängen. Und zwar so total, dass ihr Hirn diese Erinnerung perfekt ausblendet. Die Nacht im Steinbruch darf nicht mehr existieren. Kannst du mir folgen?«
    »Ja«, antwortete Vera.
    »Sich zu erinnern ist für diese Menschen mit geradezu unfassbaren Schmerzen verbunden. Infolgedessen werden sie alles tun, um sich nicht erinnern zu müssen. Du kannst Menschen, die so etwas durchlebt haben, nicht einfach mit deinem Verdacht konfrontieren, du kannst überhaupt nicht abschätzen, was dann passiert, was das mit ihnen macht.«
    Das Schweigen dauerte diesmal sehr lange. Rodenstock fuhr einhundertachtzig Stundenkilometer, wirkte wieder ruhiger und konzentriert.
    »Du meinst«, sagte Vera nachdenklich, »dass die Mordkommission vor der Tür steht und möglicherweise gar nicht reingelassen wird.«
    »Neulich habe ich etwas von so einer totalen Verdrängung gelesen«, erinnerte ich mich. »Ich nenne es jetzt mal das Kosovo-Syndrom. Es ging um eine ekelhafte Szene: In einem großen Munitionsdepot steht auf einem großen, marktähnlichen Platz eine

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