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Eifel-Schnee

Eifel-Schnee

Titel: Eifel-Schnee
Autoren: Jacques Berndorf
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mir besprechen wollte?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Aber irgend etwas muß doch los gewesen sein.«
    »Na ja, wegen dem Holländer.«
    »Ist der Holländer ein Freund? Wer ist der Holländer?«
    »Weiß ich nicht. Papa sagt, er schlägt ihn tot, wenn er nochmal auf den Hof kommt.«
    Wir kamen vor dem Wohnhaus an, ich ließ Schappi aussteigen und ging dann mit ihm. In jedem Raum des Hauses brannte Licht, zu hören war kein Laut. Da tauchte in einer Tür die Frau mit dem Nachthemd auf und strich an uns vorbei. Sie sah uns nicht, sie bewegte panisch schnell die Lippen, als spreche sie aufgeregt mit jemandem.
    »Mama«, stammelte der Kleine.
    »Komm mit«, sagte sie tonlos und streckte die Hand aus.
    Der Kleine griff nach dieser Hand und ließ sich mitziehen. Ich wußte, daß es sehr schwer sein würde, erneut mit ihm zusammenzutreffen. Ich setzte mich wieder ins Auto und fuhr heim.
    Zwei Stunden brauchte ich ungefähr, um das Weihnachtschaos meiner Katzen aufzuräumen. Früh am Morgen rief Dinah wieder an und berichtete, es gehe ihr besser und ihre Eltern hätten verständnisvoll reagiert, als sie ihnen von mir erzählt habe.
    »Mama fragte natürlich sofort, ob wir heiraten. Ich habe ihr gesagt, daß wir an der Idee arbeiten. Und was war bei dir?«
    »Nichts Besonderes«, log ich. »Laß dir Zeit, wir haben Weihnachten, und alle Menschen guten Willens sind friedlich.«
    »Du bist richtig zärtlich, Baumeister«, sagte sie hell.
    Ich ging schlafen, und als ich aufwachte, hatte ich stechende Kopfschmerzen. Ich duschte kalt und machte mir einen Kaffee. Das war am ersten Weihnachtstag gegen 16 Uhr. Wenig später rief ich den Arzt Tilman Peuster aus Jünkerath an und riskierte die Frage, ob er Patienten mit den Namen Ole und Betty habe.
    »Habe ich«, antwortete er. »Aber eigentlich darf ich Ihnen keine Auskunft geben, da ist was passiert.«
    »Ich weiß, aber die sind doch verbrannt, ich war da«, sagte ich. »War noch etwas übrig von denen?«
    »Nicht sehr viel«, sagte er. »Sie haben sie in die Gerichtsmedizin nach Bonn gebracht.«
    Eine Weile herrschte eine unnatürliche Ruhe.
    »Ich weiß, daß Sie keine Auskunft geben dürfen, aber darf ich trotzdem fragen, ob ...«
    Er unterbrach mich schnell. »Ich weiß, was Sie fragen wollen. Ich würde es so formulieren: die ersten Untersuchungen sind gelaufen. Die beiden waren tot, als das Feuer noch gar nicht ausgebrochen war. Das habe ich sozusagen als Bürger gehört, das hat mit meiner Schweigepflicht nichts zu tun.«
    »Haben Sie die Leichen gesehen?«
    »Kurz. Aber ich muß jetzt mit den Patientenunterlagen nach Bonn. Die Sache ist eine vertrackte Geschichte.«
    »Etwas mit einem Holländer?«
    »Davon höre ich zum erstenmal«, antwortete er. »Aber mir war auch neu, daß die beiden Heroin gespritzt haben sollen.«
    »Heroin auf einem Bauernhof«, sagte ich verblüfft.
    »Auch das kommt vor«, murmelte er melancholisch. »Es ist allerdings noch bestürzender zu erfahren, daß das Heroin in sie hineingespritzt wurde. Als sie schon tot waren, versteht sich. Aber vergessen Sie das wieder. Das verstößt nun wahrscheinlich gegen hundert Gesetze und Verordnungen über Behinderung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen.«
    »Wie waren sie denn, dieser Ole und diese Betty?«
    »Tja, wie waren sie«, nuschelte Peuster. »Sie haben Jahre nach einem Lebensweg gesucht, nach einer Zukunft. Aber viele Chancen hatten sie nicht, eigentlich hatten sie gar keine. Ich muß los, Baumeister. Machen Sie es gut, essen Sie Ihre Weihnachtsplätzchen und erinnern Sie sich an Ihre Kindheit. Sie hatten doch eine, oder?«
    Ich antwortete nicht mehr, hängte einfach ein. Zuweilen entwickelte der Arzt eine ziellose Ironie, der ich mich nicht gewachsen fühlte. Wie hatte Chandler seinem englischen Verleger geschrieben? – Ich bin ein kleiner Mann in einer großen Welt, und mein Haar wird schnell grau.
    Draußen war es dunkel geworden, es schneite wieder, der Wind kam scharf aus Nordwest, die flirrend weißen Striche des Schnees lagen fast waagerecht, in den beiden Zügen des Kamins heulte es an- und abschwellend wie aus einer mißtönenden Orgel. Ich schlug Christoph Ransmayers Morbus Kitahara auf, entschlossen, Literatur zu saufen, und fand das Buch so gut, daß ich nach zwei Seiten aufhörte, weil es mich begeisterte, aber auch bedrohte. Vielleicht ist Weihnachten ungeeignet für hohe Kunst, vielleicht ist Weihnachten tatsächlich dem Kitsch der Götter vorbehalten, vielleicht ist Weihnachten
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