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Ehrenwort

Titel: Ehrenwort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Erde liegen würde. Der Wunsch gleichaltriger Kommilitonen, möglichst früh aus dem elterlichen Haus auszuziehen, war ihm fremd.
    Der Balkon ging nach Westen und wurde am Nachmittag von der Sonne aufgeheizt - vielleicht sollte er im Frühling ein paar Palmen anschaffen und sich einen tropischen Garten vorgaukeln. Dazu gehörte auf jeden Fall eine Hängematte und vielleicht ein Papagei. Eine geschützte Insel im Grünen, zu der kein Eindringling Zutritt hatte. Falko, dieser unbarmherzige Geldeintreiber, würde wohl kaum das Risiko eingehen und an der Haustür klingeln. Er wusste sehr wohl, dass Harald Knobel bei der Stadt angestellt war und beste Kontakte zur Polizei und dem Ordnungsamt hatte.
    Die nächsten drei Tage wollte sich Petra ursprünglich freinehmen, obwohl sie nie ein gutes Gefühl hatte, wenn die drei Aushilfskräfte ihren Laden übernahmen. Doch konnte sie Max jetzt nicht allein lassen, wo Gespräche mit dem Amtsarzt, mit der Leiterin eines ambulanten Pflegedienstes und dem Hausarzt anstanden. Wenn Max mit der Pflege einigermaßen klarkam und sich alles erst einmal eingespielt hatte, wollte sie ihm freie Hand lassen.
    Am Dienstagmorgen wurde der Alte in liegendem Zustand angeliefert und in seinem neuen Pflegebett abgelegt. Begreiflicherweise war er vom Transport sehr mitgenommen, Petra fühlte seine Stirn und befand sie für zu heiß. Sie werden ihn doch nicht mit Fieber entlassen haben, dachte sie. Leider besaß sie kein Ohrthermometer, Max wollte möglichst bald eines besorgen. Da der Patient in einen erschöpften Dämmerschlaf fiel, konnte man ihn erst einmal allein lassen.
    »Zum Erbarmen, dieses Häufchen Elend«, sagte Petra zu ihrem Sohn. »In etwa einer Stunde wird Doktor Ofenbach vorbeikommen, ich hoffe doch sehr, dass er keine therapeutischen Winkelzüge vorhat, sondern den Willen deines Großvaters erkennt und ihn in Ruhe einschlafen lässt.«
    »Ich glaube, Opa hat sich nie um eine Patientenverfügung gekümmert«, sagte Max, »denn eigentlich ist er eine Kämpfernatur.«
    »Wie kommst du denn darauf?«, fragte Petra etwas ungeduldig und erhielt keine Antwort.
    Dr. Ofenbach, der langjährige Hausarzt der Familie, betrachtete sich den schlafenden Patienten. Falls sein Kollege - der Amtsarzt - ihn in diesem moribunden Zustand sähe, würde er ihm bestimmt die höchste Pflegestufe zubilligen, meinte er. Außerdem versprach er, den Todeskampf des Kranken zu erleichtern, wenn es nötig werden sollte.
    »Man ist heute nicht mehr so streng, wenn es darum geht, die letzten Stunden durch Morphium erträglich zu machen«, sagte er, »aber es ist trotzdem mit viel bürokratischem Aufwand verbunden. Im Übrigen sagten Sie mir ja schon, dass er Essen und Trinken verweigert. Das kenne ich von vielen Hochbetagten - sie wollen einfach nicht mehr leben. Nach einer Woche ist es meistens vorbei, und sie schlafen friedlich ein; wir Ärzte und auch die Angehörigen sollten den Willen eines Patienten respektieren.«
    Petra war erleichtert, Max sagte nichts.
    Die Chefin des ambulanten Pflegedienstes war eine praktisch denkende, erfahrene Frau. Sie lüpfte Decke und Hose des schlafenden Patienten und prüfte, ob er eine Windel trug. Dann schrieb sie auf, welche Inkontinenz-Slips zu besorgen waren. Schließlich besprach sie mit Petra, wie oft eine Altenpflegerin kommen und welche Aufgaben die Familie selbst übernehmen sollte. Man einigte sich darauf, dass zweimal am Tag Waschen, Windeln, An- und Ausziehen sowie Bettenmachen von Profis erledigt würden, während Max und Petra für den Rest zuständig waren.
    Wenn er nichts mehr isst und trinkt, sondern nur noch schläft, ist das machbar, dachte Petra. Sie beschloss, schnell noch zu ihrem Buchladen zu fahren und dort nach dem Rechten zu schauen. Max sollte sie anrufen, wenn am späten Nachmittag die Altenpflegerin eintraf. Die wollte sie sich genauer ansehen.
    Schließlich war Max mit seinem Großvater allein. Lange saß er bei ihm am Bett und lauschte auf den rasselnden Atem. Irgendwann meinte er, es sei Zeit für den versprochenen Pudding.
    »Opa!«
    Spielerisch drückte Max auf den Schalter, der die Matratze in Sitzstellung hochfuhr. »Opa!«
    Max ließ den Alten ein wenig schaukeln, hoch und nieder, rauf und runter. »Opa!«
    »Ilsebill, was ist?«
    »Möchtest du jetzt deinen Pudding essen?«
    »Jetzt noch nicht. Ein voller Bauch studiert nicht gern.«
    Immerhin, eine Reaktion. Max holte den Fertigpudding und einen Löffel und stellte das Bett per Knopfdruck in

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