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Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman

Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman

Titel: Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman
Autoren: Kerstin Gier
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gibt.
    In der ersten Reihe sitzt Lydia Kalinke, die zukünftige Pfarrersfrau, in einer Bluse aus ziemlich durchsichtigem Stoff.
    »Ist das Zellophan? «, wispert Betty, die eigens aus Berlin gekommen ist, um Claras Patenschaft zu übernehmen. Ich hatte in einem Anfall von Großzügigkeit auch Andi eingeladen, aber er hat eine Geschäftsreise nach Tokio beim besten Willen nicht verschieben können. Leider, wie er mehrfach beteuert hat. Er hat vor, demnächst noch einmal die Karriereleiter hinaufzufallen. Immerhin treffen seine großzügigen Unterhaltszahlungen pünktlich auf meinem Konto ein, und von Zeit zu Zeit macht er mir einen Heiratsantrag. Allerdings werden die Abstände immer größer.
    »Ich glaube nicht«, antwortet Gilbert an meiner Stelle auf Bettys Frage. »Zellophan wäre sicher reißfester. Lydia hasst Knöpfe.«
    Er nimmt Clara das weiße Mützchen mit den gestickten Margeriten ab. Clara runzelt die Stirn.
    »Sieh dir das an«, sagt Betty, die sich sofort ablenken lässt. »Sie hat jetzt schon mehr Haare als ich! Und so schöne Locken! Die arme Lucie ist immer noch ein Glatzkopf.«
    »Dafür schläft Lucie aber nachts durch«, sage ich und versuche das idiotische, stolze Lächeln zu unterdrücken, das sich immer auf meinem Gesicht ausbreitet, wenn die Rede von Clara ist. Nie hat die Welt ein niedlicheres, klügeres und lockigeres Baby als meins gesehen! Ich weiß, das glauben alle Mütter von ihren Kindern, aber bei meinem stimmt es zufällig wirklich! Ich versuche meiner Umwelt aber stets, so gut es geht, auch die weniger schönen Seiten des Mutterseins offenzulegen: »Ich hingegen habe seit drei Monaten nie länger als zwei Stunden am Stück geschlafen …«, sage ich.
    Christel Hagen greift in die Tasten der alten Orgel und weckt die schläfrigen Konfirmanden und Senioren mit einer Dissonanz vom Feinsten.
    Pfarrer Hoffmann kommt den Mittelgang entlanggeschritten, sein charismatisches Lächeln wie immer nach links und rechts verteilend. Dass er immer noch in Amt und Würden ist, hat er vor allem der alten Frau Sommerborn, ihres Zeichens Kirchenmäzenin und Besitzerin des Pfarrhauses, zu verdanken. Sie hat der Kirche angedroht hat, sie aus dem Testament zu streichen, wenn der Pfarrer versetzt würde. Tatsache ist, dass Lohmann, Hagen und Co. fleißig versucht haben, an seinem Stuhl zu sägen, aber am Ende haben Frau Sommerborn und ihr Geld gesiegt. Die alte Dame ist die Einzige in der Gemeinde, die den vielen Gerüchten um Pfarrer Hoffmann keinen Glauben schenkt.
    »Wow!«, stößt Betty neben mir aus. »Wo habt ihr den denn her?«
    »Direkt aus Hollywood«, flüstere ich.
    »Ist er noch zu haben?«
    Ich schüttele bedauernd den Kopf. »Die Dame in Zellophan wird in Kürze seine Frau.«
    »Wie schade«, sagt Betty enttäuscht. »Er ist unglaublich sexy! Man fragt sich unwillkürlich, was er wohl unter dem Talar trägt.«
    »Pssst«, wispert Gilbert tadelnd. »Denkt doch mal an Clara! Das ist ihr großer Tag!« Wenn es um Clara geht, versteht er keinen Spaß.
    Clara quietscht fröhlich, als der Kirchenchor anfängt zu singen. Meine Mutter winkt ihr zu. Sie verpasst darüber den Einsatz, den Herr Hagen mit feister Patschhand befiehlt. Mama geht allen Leuten mit ihren Geschichten von Clara auf die Nerven, sie gibt sich im Gegensatz zu mir nicht die geringste Mühe, ihren Stolz zu verbergen. Eben hörte ich sie erzählen, dass ihre Enkeltochter bereits »Oma« sagen könne. Also wirklich!
    Der Altar ist mit einem beeindruckenden Strauß Goldbandtürkenbundlilien aus unserem Garten geschmückt, die ihren Duft bis hierher verströmen. Sie lenken vorteilhaft von Frau Hagens mit goldenen Kreuzen und Kelchen bestickter Decke ab.
    Der neue Garten war schon in diesem ersten Sommer ein fantastischer Anblick, Gilbert hat sich wirklich selbst übertroffen. Wenn man vom vorderen Garten, der sich dank Gilbert nun ebenfalls sehen lassen kann, durch den mit Hopfen bewachsenen Torbogen in den Bereich tritt, der vorher Opas Gemüsegarten gewesen war, glaubt man sich durch einen geheimnisvollen Zaubermitten ins alte Japan versetzt. Überall Wasser, das über runde Felsen plätschert, die, wie Gilbert immer versichert, irgendwann mit dekorativem Moos bewachsen sein werden, Teiche mit Ornamenten aus Wassernuss und Seerosen, die in diesem Jahr leider nur Blätter trieben. Im nächsten Jahr aber werden sie laut Gilbert bereits unzählige Blüten haben, ebenso wie die Wasserhyazinthen und Seekannen. Runde, geharkte Kiesfelder,
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