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Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman

Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman

Titel: Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman
Autoren: Kerstin Gier
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blickenden blauen Augen. Sein überirdisch strahlendes Lächeln, das seine weißen Zähne vorteilhaft zur Geltung brachte, schien mir eine Nummer zu groß für unser Wohnzimmer – und auch für den Anlass.
    »Wir kaufen nichts«, wollte ich, verwirrt wie ich war, sagen, als Carola neben der Erscheinung auftauchte und mit einem gewissen Besitzerstolz in der Stimme vorstellte: »Das ist Pfarrer Hoffmann.«
    Aha, sie musste es ja wissen. Obwohl dieser Mann so gar nicht meinem Bild von einem Pfarrer entsprach. Der gute alte Pfarrer Seltsam hatte wohl endlich ausgedient.
    »Ich finde sogar, dass Sie wunderschön aussehen«, fuhr sein Nachfolger zu meiner Mutter gewandt fort. »Höchstens ein ganz kleines bisschen erschöpft.«
    Carola und ich schauten ihn ungläubig an. Meine Mutter lächelte zaghaft.

Irmi
    A
ls Irmela Quirrenberg nach Hause kam, saß ihr Mann in seinem Rollstuhl vor dem antiken Wohnzimmerschrank, einen Haufen gebügelter und gestärkter Tischdecken auf dem Fußboden neben sich. Ein Blick genügte, um zu erkennen, dass all die Stunden am Bügelbrett umsonst gewesen waren. Georg musste sie einzeln aus dem Schrank gerupft, auseinandergefaltet und zusammengeknüllt auf den Boden geworfen haben.
    Schlimmer noch, dachte Irmi. Die weiße Richelieu-Decke sah sogar aus, als wäre er mehrmals mit dem Rollstuhl darübergefahren.
    »Suchst du was?«, fragte sie.
    »Das verdammte Fernglas«, sagte Georg, ohne sich umzudrehen. Er saß seit einem Jahr im Rollstuhl, zwei Jahre, nachdem bei ihm die Diagnose multiple Sklerose gestellt worden war.
    »Zwischen den Tischdecken?«
    »Ich wollte die Rehe beobachten«, antwortete Georg. Ihr Grundstück grenzte an eine Kuhweide, die wiederum an den Wald grenzte. Es war keine Seltenheit, dass Rehe bis an den Gartenzaun kamen, manchmal sogar in den Garten hinein, wo sie mit Vorliebe Rosenknospen abfraßen, ohne sich an den Stacheln zu stören. »Wenn du da gewesen wärst …«
    Irmi spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Es war immer das Gleiche. Wenn sie länger wegblieb als angekündigt, sorgte er dafür, dass sie sich anschließend schlecht fühlte. Noch schlechter, als sie sich ohnehin meistens fühlte.
    »Das Fernglas ist sicher in deiner Schreibtischschublade, wie immer«, sagte sie und begann, die Tischdecken vom Boden aufzuheben, damit er ihre Tränen nicht sah. »Ich hol’s dir.«
    »Dazu ist es jetzt zu spät, die Rehe sind längst verschwunden. Meinst du, die warten auf einen Krüppel, der sein Fernglas nicht finden kann, weil seine Frau es vor ihm versteckt hat?«
    Irmi strich eine Decke glatt. »Ich hab dir doch gesagt, ich bin nur kurz drüben bei Schneiders, um den Kuchen vorbeizubringen.«
    »Nur mal kurz? « Georg setzte mit dem Rollstuhl rückwärts und fuhr dabei über die Richelieu-Stickerei-Decke. »Du warst siebzehn Minuten lang weg. Was gab es denn da drüben so Besonderes?« Er drehte den Rollstuhl schwungvoll um hundertachtzig Grad und sah sie herausfordernd an. Irmi staunte immer wieder, wie geschickt er mit dem Rollstuhl umgehen konnte. Eigentlich gehörte er auch noch gar nicht hinein, sagte Doktor Sonntag immer, jedenfalls nicht den ganzen Tag, aber Georg wollte von Krücken und Gehwagen nichts wissen. Am Anfang, als die Krankheit noch nicht so offensichtlich gewesen war, hatte er viel Energie hineingesteckt, damit man sie ihm nicht ansah, aber als das Laufen schwieriger wurde, als er immer stärkere Einschränkungen hinnehmen musste, hatte er auf dem Rollstuhl bestanden. »Ich werde mich nicht vor allen lächerlich machen, indem ich eine Treppe hinuntergehe wie eine tattrige Marionette«, hatte er den Arzt angeschrien, als dieser den Rollstuhl als verfrühte Maßnahme bezeichnet hatte. »Ich setze mich in einen Rollstuhl und verhalte mich wie ein ganz normaler Krüppel, dass das klar ist.« Doktor Sonntag hatte seinen Kopf geschüttelt und gesagt, Georgs Haltung sei ihm unverständlich, aber Irmi hatte ihn sehr wohl verstanden. Georg war es immens wichtig, was andere von ihm dachten. Er war zeit seines Lebens eine vitale, gut aussehende Erscheinung gewesen, sportlich, erfolgreich, charmant. Es musste schrecklich für ihn sein, seine Bewegungen nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Sie verstand, dass er im Rollstuhl wenigstens einen Teil seiner Würde behalten konnte.
    »Es war furchtbar«, sagte sie. »Amelie ist völlig neben sich, würde mich nicht wundern, wenn sie sie wegbringen müssten. Das Haus war voller Leute. Die arme Louisa
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