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Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman

Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman

Titel: Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman
Autoren: Kerstin Gier
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Pfarrer sein«, erklärte Carola und ging, um die Tür zu öffnen.
    »Tja, dann ist es jetzt wohl an der Zeit, dass ihr aufbrecht«, sagte ich zu meinen Verwandten.
    »Kommt gar nicht in Frage, wir lassen euch nicht im Stich«, sagte Tante Ella, und Tante Patti ergänzte: »Erst in einer Stunde, wenn der Philipp zum Fußball muss.«
    »Ich wollte warten, bis Amelie Zeit hat, mir Roberts Golfausrüstung zu geben«, sagte mein Onkel. Als er meinen befremdeten Blick sah, setzte er schnell hinzu: »Er braucht sie ja nun nicht mehr, und es wär doch schade drum, wenn sie irgendwo ungenutzt verstaubt.«
    In der Wohnzimmertür war eine weitere Nachbarin mit einem Blech Apfelkuchen erschienen. Dahinter wurde Cousin Philipp sichtbar, der nun mit vollem Mund telefonierte.
    »Aaaaah«, rief Onkel Harry erfreut, drückte seine Zigarette auf der Untertasse aus und grabschte sich ein Stück Kuchen. »Das wurde aber auch Zeit. Fehlt nur noch die Schlagsahne.«
    »Ist der auch frisch?«, fragte Tante Patti.
    »Noch warm«, versicherte Irmela Quirrenberg schüchtern. Sie wohnte zwei Häuser weiter, gleich neben den Heinzelmanns. »Mit Äpfeln aus dem eigenen Garten. Ich könnte schnell gehen und Sahne schlagen, wenn Sie wollen.«
    »Unbedingt«, sagte Onkel Harry.
    »Auf keinen Fall«, sagte ich mehr zu Onkel Harry als zu Frau Quirrenberg. Sie war so unsicher und offensichtlich bemüht, es allen recht zu machen, dass sie Onkel Harry wahrscheinlich auch eine Nackenmassage verpasst hätte, wenn er danach verlangt hätte.
    Tante Patti nahm Frau Quirrenberg das Blech aus der Hand. »Wir könnten auch alle einen Cognac dazu vertragen. Finger weg, Philipp, iss erst mal das eine Stück zu Ende.«
    Philipp ließ sich beleidigt auf Kater Wanjas Sessel fallen. »Voll öde hier«, sagte er in sein Handy und drückte auf die Aus-Taste.
    Frau Quirrenberg strich sich ihr mausbraunes Ponyhaar aus dem Gesicht und fing übergangslos an zu weinen. »Ach, du armes Luischen«, schluchzte sie. »Das tut mir ja so schrecklich leid für euch. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Du hast sehr an deinem Vater gehangen, das weiß ich doch. Wir werden ihn ja alle so vermissen.«
    Beinahe schaffte sie es mit diesen Worten, meine Tränenschleusen erneut zu öffnen, aber in diesem Augenblick bimmelte wieder Philipps Handy, und Onkel Harrys Stimme sagte: »Ohne Sahne ist ein Apfelkuchen nichts wert, hat unsere Mutter immer gesagt.«
    »Entschuldige, Louisa, du hast es schon schwer genug«, sagte Frau Quirrenberg und putzte sich die Nase. »Und da komme ich daher und weine dir was vor.«
    Carola hatte einen Stapel Teller und Kuchengabeln aus der Küche geholt.
    »Im Kühlschrank steht Sprühsahne«, sagte sie.
    »Das ist nicht das Gleiche«, belehrte Onkel Harry sie.Ich fühlte das Verlangen in mir aufsteigen, ihm die Brillengläser mit der Sprühsahne einzunebeln.
    Der Duft des Kuchens hatte endlich die Hagens vom Sofa gelockt.
    »Mein Beileid, Louisa«, sagte Herr Hagen und schüttelte mir die Hand, während er mit der anderen nach dem Apfelkuchen griff.
    »Wir haben hier seit gestern abend die Stellung gehalten, weil du nicht da warst«, sagte Frau Hagen mit ihrer merkwürdig hohen Kleinmädchenstimme. »Wir sind nur mal kurz nach Hause, um den Kindern Essen zu machen.«
    Die »Kinder« waren achtundzwanzig und vierunddreißig Jahre alt und zusammen ungefähr zweihundertfünfzig Kilo schwer. Frau Hagen lebte in ständiger Angst, sie könnten vom Fleisch fallen.
    Ich ging hinüber zu dem gebeutelten Sofa, auf dem Mama noch immer wie ein Häufchen Elend hockte, obwohl sie jetzt, wo die Hagens sie nicht mehr im Schwitzkasten hatten, hätte aufspringen, die Fenster aufreißen und tief Luft holen können.
    »Louisakind«, sagte sie, als ich sie stumm in die Arme nahm. Sie roch fremd, nach Qualm und nach dem Parfüm, das Frau Hagen benutzte. Es gehörte unbedingt vom Markt genommen. Wahrscheinlich war es das sogar schon längst. »Ich halte das nicht aus.«
    Ihre Worte brachen mir beinahe das Herz.
    »Ohne Robert fühle ich mich wertlos. Dick, hässlich, überflüssig«, fuhr meine Mutter fort. »Irgendwie uralt.«
    »Aber so sehen Sie gar nicht aus«, sagte jemand, und meine Mutter und ich schauten beim Klang der tiefen, melodischen Stimme gleichermaßen verdutzt auf.
    Vor unserem Sofa stand eine Erscheinung.
    Es war ein Mann um die vierzig, glatt rasiert, braun gebrannt, mit dunklem, dichtem Haar, der Figur eines durchtrainierten Athleten und teilnahmsvoll
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