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Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)

Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)

Titel: Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)
Autoren: Edzard Reuter
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unumstößlichen Kriegsziel erklärten, zwang schließlich die beiden französischen Streithähne unter einen Hut. Sie wurden gleichberechtigte Präsidenten einer gemeinsamen Regierung. Die vermeintliche Idylle sollte jedoch nicht lange andauern: Bereits im folgenden Sommer gab es nur noch einen wirklichen Chef, und der hieß de Gaulle. Sein Kontrahent hingegen verschwand immer mehr von der Bildfläche, während Jean Monnet zum Mitglied der neuen Regierung aufrückte, die fortan auf westlicher Seite formal als gleichberechtigter Alliierter galt.
    Zum ersten Mal hatte er jetzt auf höchster politischer Ebene Verantwortung zu tragen. 1888 geboren, war er immerhin schon knapp 54 Jahre alt. Und was hatte er während dieser Lebensspanne schon alles lernen, ja miterleben müssen! Nicht nur, dass ihm in der Schule die Geschichte der jahrhundertelangen, zum großen Teil bestialischen Kriege zwischen den europäischen Völkern beigebracht worden war: seine Großeltern und Eltern hatten aus eigener Erfahrung vom blutigen Traum des napoleonischen Imperiums und dessen Ende berichtet, vom Neid zwischen den Franzosen und Deutschen, der mit der Ausrufung des wilhelminischen Reiches im Thronsaal von Versailles zu einer tiefen Demütigung geführt hatte. Selbst war er Zeuge von zwei schrecklichen Kriegen geworden, hatte die Kraft der Freiheit erlebt, die Völker zu ungeahnter Stärke verhelfen kann, aber auch eigenes unternehmerisches Auf und Ab, das ihn gelehrt hatte, wie unmittelbar wirtschaftliche und politische Entscheidungen im täglichen Leben miteinander zusammenhängen können. Und nicht zuletzt hatte ihn die Überheblichkeit von Amerikanern und Briten gegenüber den vermeintlich dauerhaft geschwächten Kontinentaleuropäern davon überzeugt, dass es zukünftig lebenswichtig sein würde, sich rechtzeitig, entschlossen und mit gleichem Gewicht gegen die Versuchungen der Macht, gegen die Gefahren politischer Kurzsichtigkeit und gegen den Missbrauch wirtschaftlicher Interessen zu wehren.
    Mit anderen Worten: Jeden Tag mehr war ihm deutlich geworden, dass das politische Ziel, kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den europäischen Völkern künftig unmöglich zu machen, nur zu erreichen war, wenn es gelingen würde, auf der Grundlage einer guten wirtschaftlichen Entwicklung den Menschen soziale Konflikte so weit wie möglich zu ersparen. Das aber setzte Mut und Beharrlichkeit voraus, die unzähligen Interessen, die einem solchen Ziel – vor allem durch einen Rückfall in die alte europäische Unsitte, sich gegeneinander mit Handelsschranken abzuriegeln – im Wege standen, nicht nur zu berücksichtigen, sondern miteinander zu versöhnen.
    Gewiss wäre es allzu einfach, wollte man behaupten, dass sich das Denken und Handeln von Jean Monnet von nun an nur noch darum drehte, wie nach dem absehbaren Ende des Krieges ein neues Europa zu gestalten wäre. Der Schwerpunkt seiner offiziellen Verantwortung lag in dem Bemühen, seinem Land in der bevorstehenden Phase des wirtschaftlichen Wiederaufbaus ausreichende finanzielle Hilfe durch die Vereinigten Staaten zu sichern. Doch so wichtig diese mit einem ständigen Hin- und Herpendeln zwischen Algier, London und Washington verbundene Aufgabe auch gewesen sein mag: Die eigentliche Schicksalsfrage sah Jean Monnet in der fast unvorstellbar großen Herausforderung, nach dem nun absehbaren Ende des Krieges ein neues Europa zu formen, das – auf der Grundlage in sich gefestigter, untereinander gleichberechtigter demokratischer Staaten – in der Lage wäre, seinen Bürgerinnen und Bürgern ein Leben in Frieden und Wohlstand zu gewährleisten, ohne Gefahr zu laufen, irgendwann zur Kolonie anderer mächtiger Staaten hinabzusinken.
    Dabei machte er sich von Anfang an keine Illusionen. Er wusste, dass es um das Bohren sehr, sehr dicker Bretter – mit allen dazugehörenden Rückschlägen und Enttäuschungen – gehen würde. Deutlich genug wurde das vom ersten Tag an, als er mit dem Versuch begann, zunächst einmal die jeweiligen Vorstellungen der westlichen Siegermächte zu ergründen. Zumindest bis zur alliierten Invasion zunächst 1943 in Italien und im folgenden Frühjahr dann in der Normandie waren sie – wie zu erwarten – durch ein heilloses Chaos gekennzeichnet. Weder Roosevelt noch Churchill hatten über den Tag der »bedingungslosen Kapitulation« hinaus irgendwelche auch nur entfernt als konkret zu bezeichnenden Vorstellungen entwickelt oder sich gar darauf geeinigt. Eher gab es
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