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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
Autoren: Frank Schirrmacher
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Karriere erst nach dem Ende des Kalten Krieges wirklich begann.

2 Spiel
    Ökonomen geben eine Antwort
    I m Kalten Krieg wurde die Formel geboren, dass jeder eigennützig handelt und den anderen reinlegen will. Wer das akzeptierte, handelte vernünftig. Die Formel funktionierte, weil sich damals zwei Weltmächte gegenüberstanden, die beide die Atombombe hatten und die beide einander vollständig vernichten konnten.
    Die Ökonomie hatte eine lange Tradition des selbstsüchtigen Menschen, des »homo oeconomicus«, einer Art virtuellen Doppelgängers, mit dem man sich erklären wollte, wie Menschen ticken. Den konnte man aus dem Keller, wo er zu verstauben begann, zurückholen. Denn der »homo oeconomicus« hatte bisher ein eher abseitiges und rein akademisches Leben geführt. Es gab sogar Formeln für ihn, manche noch aus dem 19. Jahrhundert.
    Es ist hier nicht der Ort, die zweihundertjährige Geschichte des »homo oeconomicus« nachzuerzählen. Es wäre aber ein großer Fehler zu glauben, er sei gleichsam von Geburt als profitgieriges Monster auf die Welt losgelassen worden – wenngleich er besonders in dieser Verkleidung bereits in der frühen Neuzeit die englische Literatur unterwandert. 18 Als ein Wesen, das man nicht mehr durch diffuse Leidenschaften, sondern durch seine knallharten Interessen verstehen konnte (und dazu konnten auch Begriffe wie Freiheit zählen), war der homo oeconomicus immer auch eine Figur der Aufklärung, ja bis zu einem gewissen Grad kann man ihn sogar, wie der Habermas-Schüler Axel Honneth gezeigt hat, eine Geburts-Idee der »Linken« nennen. 19 Er ist eine Figur aus dem Textbuch, und kluge Ökonomen wer den nicht müde, darauf hinzuweisen, dass er nie mehr als das sein sollte: eine Annahme, die es uns ermöglicht, nicht nur besser mit Menschen und ihren Präferenzen zu rechnen, sondern auch soziale Gesellschaftsverträge zu gestalten, die den Vorteil haben, nicht auf das wohlklingende, aber ebenso inhaltlose Schöne und Wahre und Gute zu zielen.
    Und dennoch ist das nur ein Teil der Geschichte, und, wenn man so will, der bessere. Den schlechteren resümiert im Jahre 2008 beispielsweise Lynn A. Stout, Juristin an der Cornell-Universität und als Expertin für Corporate Governance und Finanzmarktregulierung eng mit den Finanzkrisen der letzten Jahre befasst, in einem einzigen Satz: »Der homo oeconomicus ist ein Soziopath.« 20
    Unzählige Autoren, darunter viele Ökonomen, haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten gezeigt, dass die Annahmen, die dem »homo oeconomicus« zugrunde liegen, der Vielschichtigkeit der menschlichen Psyche und der menschlichen Gesellschaft nicht gerecht werden. 21 Und dennoch vertritt dieses Buch die These, dass er, den wir auf diesen Seiten Nummer 2 nennen, irgendwann in den letzten Jahren buchstäblich zum Leben erweckt worden ist und zu etwas wurde, was der verantwortungsvolle Teil seiner Schöpfer niemals wollte.
    Die Gründe dafür sind keineswegs rein »ökonomischer« Natur. Sie haben zunächst damit zu tun, dass der moderne Mensch selbst nicht mehr genau weiß, was seine Identität ist, ob er eine oder viele oder gar keine hat. Zeitgenössische Philosophien haben ihm nicht helfen können, sondern den Trend verstärkt. Dadurch sank automatisch die Widerstandsfähigkeit gegen die Vereinfachungen eines Modells, das bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts in gewisser Weise immer auch aus der Spannung zu dem wirklichen Menschen lebte.
    Es war der erste große Sieg des »ökonomischen Imperialismus«, der alles zur Ökonomie machte, aber es war deshalb ein Sieg, weil der Gegner sich buchstäblich auflöste (und kann deshalb den Ökonomen nicht vorgeworfen werden, sie besetzten gleichsam den Raum, den ein anderer freigab): Die Subjektivität oder Individualität des Menschen wurde ersetzt durch seine Präferenzen (die von außen kommen, d. h. wie sie entstehen und warum sie sich verändern, ist ohne Bedeutung) und die Nutzenmaximierung, die er sich versprach. 22 Mehr brauchte man jetzt nicht mehr. Der homo oeconomicus ist, nach den Worten Michel Foucaults, eben nicht nur ein wirtschaftliches, sondern ein politisches Wesen, und er hat in den Augen der Macht den Vorteil, dass er »eminent regierbar« ist. 23
    Das allein hätte aber noch nicht ausgereicht, Nummer 2 lebendig werden zu lassen Ohne den Computer, ohne den elektronischen Funken, der zwischen Maschine und Mensch übersprang, wäre er immer nur ein Modell geblieben; eine Theorie, die den Vorteil hatte
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