Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
Autoren: Frank Schirrmacher
Vom Netzwerk:
Wirklichkeit geworden, denn erstmals wurden maschinell nicht nur Bewegungen oder Zeitmanagement erfasst, sondern auch »Wertvorstellungen« und Gefühle von Menschen. 11
    Es stellte sich heraus, dass viele Soldaten die Radarschirme für überdimensionierte Ferngläser oder für ein »Fenster« in die Welt hielten. Genau da konnte man ansetzen. Man musste ihnen beibringen, dass das, was sie auf dem Bildschirm beobachteten, ein Spiel war, bei dem der Mitspieler, die Sowjetunion, alles tun würde, um einen reinzulegen. Es ging nicht nur darum, ein Signal zu registrieren. Man musste in der Lage sein, ständig die nächsten Züge des blinkenden Punkts, der der sowjetische Gegner sein konnte, vorauszusagen.
    Seit die Russen über die Atombombe verfügten und ein einzelnes Flugzeug die Vernichtungskraft ganzer Luftflotten transportieren konnte, musste man strategisch völlig neu denken lernen. In der Paranoia der damaligen Zeit (die noch nicht wusste, was wir heute im Rückblick historisch wissen), wo man jederzeit mit einem Überraschungsangriff der Sowjetunion rechnete, musste sich das menschliche Verhältnis zu Informationen auf einen einfachen Code reduzieren: hinter allem das Schlimmste vermuten. Du weißt zwar nicht, wurde den Crews eingebläut, was der andere vorhat, aber du weißt, dass er ein einziges Ziel hat: dich auszutricksen.
    Der grüne, leuchtende, hypnotisierende Monitor bildete nicht die »Wahrheit« ab und nicht die Welt, wie sie war. Er zeigt, wie es in einem zeitgenössischen Bericht heißt, ein »Pokerface«. 12 Der Soldat am Radar musste sich selbst und den Bildschirm wie zwei Pokerspieler sehen. Alles war ein »cut-throat « -Spiel, wie Poker gerne genannt wurde, ein mörderisches Spiel. Sich als Spieler in einem Pokerspiel zu sehen hielt den Soldaten hormonell wach, stachelte ihn an und schärfte seine operative Intelligenz.
    Der blinkende Punkt konnte eine harmlose Verkehrsmaschine sein oder ein russischer Atombomber – der Mensch an der Radarmaschine musste kapieren, dass »Pokerface« nicht Bewegungen im Raum, sondern strategische Spielzüge meint und genauso gut Bluffs wie die Wahrheit abbilden konnte.
    Um nicht in die Falle zu laufen, gab es nur eine einzige Annahme, mit der man auf Nummer sicher gehen konnte, und die, wie die beteiligten Ökonomen wussten, in der Ökonomie gut funktioniert hatte: Vernünftig, »rational«, zu sein heißt, dass jeder nur an sich selbst denkt. Für die strategische Intelligenz hieß das: Wenn jeder so handelt, muss man auch unterstellen, dass jeder etwas vor dem anderen verbirgt, um das Spiel des Lebens zu gewinnen.
    Ganz genauso wird fünfzig Jahre später die Anthropologin Caitlin Zaloom, die für ihre Forschungen zwei Jahre als Börsen traderin arbeitete, die voll automatisierte Welt der Börsenhändler beschreiben. Sie müssen ihre Aufmerksamkeit auf Zahlen konzentrieren, die nichts Festes und Stabiles mehr haben, sondern sich in Echtzeit auf den Bildschirmen in sich dauernd verändernde Signale verflüssigen. 13 Jede Transaktion ist ein Spielzug, jeder Spieler denkt nur an sich, es gibt Bluffs und Überraschungsangriffe, es gibt Massenvernichtungswaffen und taktische, punkt genaue Waffen. Die Mitspieler werden permanent gescreent und Entscheidungen müssen so blitzschnell getroffen werden, dass sie nur von Computern ausgeführt werden können.
    Vor allem aber: Es sind die spieltheoretischen Modelle des Kalten Kriegs, die heute von den Hedgefonds benutzt werden. Ganze Abteilungen der Investmentbanken sind damit beschäftigt, die Absichten konkurrierender Händler aus einem riesigen Datenmaterial mithilfe von Computern und der Spieltheorie in atemberaubender Geschwindigkeit zu entschlüsseln und ihr eigenes Handeln danach auszurichten.
    Das hätte die, die die neue Seele für den neuen Menschen entwarfen, am wenigsten überrascht. Man kann sogar sagen: Es war das Ziel. Es waren nicht Psychologen, die die neuen Verhaltens- und Denkmodelle des »rationalen Selbstinteresses« für das Militär entwickelten, sondern Ökonomen, Physiker und Mathematiker. Die Ökonomen kannten sich aus in Märkten, in denen jeder seinen eigenen Vorteil sucht. Ihre Strategien für eine Gesellschaft, die im Egoismus überlebt, waren nie nur auf Soldaten im Kalten Krieg beschränkt. Sie erhoben den Anspruch, universal zu sein. Sie sollten überall dort funktionieren, wo Menschen Entscheidungen treffen. Im Poker, im Geschäftsleben, an den Börsen, im Krieg. 14
    1950 hatte der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher