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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
Autoren: Frank Schirrmacher
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getrieben von der Angst, dass totalitäre Systeme wie die Sowjetunion den Menschen dadurch entmündigen, dass sie behaupten zu wissen, was das Beste für ihn ist, haben Ökonomen einen Gegenentwurf erdacht, in der jeder nur noch das tut, was für ihn selbst das Beste ist. Er wurde eine der wichtigsten strategischen Waffen im Kalten Krieg, und durch ihn hat der Westen das Spiel der Supermächte entscheidend gewonnen.
    Aber das war, wie sich jetzt heraustellt, nicht das Ende, sondern erst der Anfang. Das Spiel der Supermächte war vorbei, das Spiel mit der eigenen Gesellschaft konnte beginnen. Einer der Architekten der große Falle hat später eingeräumt, dass die Spiel regeln, nach denen wir das neue Spiel des Lebens spielen sollen, gewöhnungsbedürftig sind. Um zu gewinnen, müsse man zuweilen den Gedanken akzeptieren, dass »man vom gesamten Universum als persönlicher Feind ausgewählt« wurde. 4
    Noch ein Wort zu der Absicht dieses Buchs. Es wurde ausgelöst von der Krise, aber nicht von ihren ökonomischen Erscheinungen, sondern von ihren gesellschaftlichen. Die Krise ist nur ein Symptom. Sie zeigt die Instabilität nicht nur von Märkten, sondern von Gesellschaften, in denen Gesellschaften wie Märkte und Menschen als »homo oeconomicus« organisiert werden. In meinen Augen: der erste Fall eines Systemversagens der Informationsökonomie.
    Die Krise, mit der wir heute zu tun haben, ist keine, in der es nur um Geld, Profit, die Pleite von Lehman oder die Krise Europas geht. Das ist, wenn man so will, noch die einfache Seite des Sachverhalts, die am ehesten der Analyse zugänglich ist. Wer weiß, vielleicht wird sie gelöst und die Menschen gehen wieder zur Tagesordnung über.
    Die Informationsökonomie bewertet Gefühle, Vertrauen, soziale Kontakte genauso wie Aktien oder Waren und sie hat, zum ersten Mal in der Geschichte, die technischen Mittel, dies immer perfekter zu tun. Es ist etwas anderes, ob man bei einem Geschäft oder einer Auktion wie selbstverständlich davon ausgeht, dass es für den anderen rational sei, nur an sich zu denken, einen über den Tisch zu ziehen, oder ob das soziale Leben selbst immer mehr zu Geschäft und Auktion wird, ein Welt der Ich-Vermarktung, die glasklaren ökonomischen Regeln folgt. Misstrauen, Unterstellung, Bluffs, Ablenkungsmanöver sind in dieser Welt normativ und sei es nur, um, wie ein oft gehörter Satz lautet, »die Märkte zu beruhigen«. Aber sie betreffen nicht nur Staaten, sie betreffen in einem fast noch stärkeren Ausmaß den Einzelnen.
    Diese Regeln sind alle irgendwo aufgeschrieben. Sie waren Annahmen, Hilfkonstruktionen, Modelle, die den Menschen nicht mehr mit psychischen, sondern mit mathematischen Ei genschaften ausstatteten. »Ökonomische Modelle mit Menschen aus Fleisch und Blut zu bevölkern war nie das Ziel von Ökonomen«, heißt es im Motto eines Buches, das genau das Gegenteil nachweist. 5 Denn die Modelle selbst sind lebendig geworden, sie werden nicht nur Handlungsanweisungen, denen man unbewusst folgt wie einem Navigationsgerät – sie tun viel mehr: Sie machen den Menschen überhaupt erst zu dem, als den sie ihn beschreiben. Und sie beschreiben ihn, allen selbst auferlegten Einschränkungen zum Trotz, als Egoisten.
    Dieses Buch basiert auf einer einzigen These. Sie wird neuerdings wieder verstärkt von einigen Renegaten unter den Ökonomen mit dem Titel »ökonomischer Imperialismus« diskutiert. Damit ist gemeint, dass die Gedankenmodelle der Ökonomie praktisch alle anderen Sozialwissenschaften erobert haben und sie beherrschen (die imperialistischste ökonomische Theorie war bekanntlich der Marxismus).
    In unserer Lebenswelt erleben wir diesen Imperialismus als Ökonomisierung von allem und jedem. Kein Zufall, dass Bestseller wie »Freakonomics« (oder die Nudge-Theorien der Verhaltensökonomen) so erfolgreich sind. Im Kern erzählen diese Bücher von einer Alltags-Welt, die alles in Anekdoten des Eigen-Nutzes zerlegt (»Soll man Eltern für das zu späte Abholen ihrer Kinder bestrafen, und wenn ja, wie ist die Wirkung? Die Wirkung ist, dass sie noch nachlässiger werden, wenn die Geld-Strafe gering ist, erstens weil sie es wert ist und zweitens weil sie ein falsches Signal für die moralische Kosten der Normverletzung sendet« 6 ). So unterhaltsam sie sind und so umstritten ihre Thesen – ihr Erfolg zeigt, dass es sich um Selbstverteidigungstheorien in einer Welt handelt, die, bis in alle Details durchökonomisiert, den Eigennutz als
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