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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
Autoren: Frank Schirrmacher
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(anders als der Marxismus), nichts anderes zu sein als das.
    » Nach dem Fall « hat nicht ohne Pathos der Ökonom und Philosoph John Davis diese Vertreibung aus dem Paradies der Unverbindlichkeit genannt. 24 Sie vollzog sich in zwei Schritten: erstens durch das Auftauchen der ersten Computer im militärischen und wissenschaftlichen Bereich in den Fünfzigerjahren, zweitens (mit Folgen, die gewaltiger sind als die Erfindung der Dampfmaschine) durch den Siegeszug des »demokratisierten« Computers auf den Massenmärkten seit den frühen Achtzigerjahren. Die Verschmelzung von Wissenschaft und Wissenschaftlern und ganzer Gesellschaften mit ihren Technologien, das Entstehen von Mensch-Maschine-Mischwesen, nennt man sie nun Androiden oder Cyborgs, wird uns in diesem Buch immer wieder beschäftigen. Eine Revision des Menschenbildes im Zeichen dieser Verschmelzung fand zeitgleich in allen Disziplinen statt, und ironischerweise lief diese Revision oft auf ein Modell hinaus, das die Ökonomen als »homo oeconomicus« in ihren Schubladen und in ihren Köpfen hatten. Die Kognitionswissenschaften beispielsweise, die in der Nachkriegszeit eine wichtige Rolle zu spielen begannen, waren nicht mehr an der Vermenschlichung der Maschine sondern, wie Jean-Pierre Dupuy es formuliert, an der Mechanisierung des Geistes interessiert. 25 Kybernetik, die Wissenschaft, die als erste mit dem Computer verschmolz, löste, nach dem berühmtem Wort von Martin Heidegger, die Philosophie ab.
    Wissenschaft benutzt Technologien nicht nur als Werkzeuge, um etwas zu entdecken oder zu verändern, sondern sie entdeckt und verändert immer das, wozu die Werkzeuge sie überhaupt erst in die Lage versetzen. Die Präferenzen von Menschen und bald einer ganzen Gesellschaft in Echtzeit zu berechnen, wie es am Vorabend von Big Data erkennbar wird, ist eben erst möglich, wenn es Werkzeuge gibt, die es gestatten. 26
    Dass das Hirn ein Computer ist und mentale Prozesse wie Berechnungen eines biologischen Computers ablaufen – eine These, für die man in den Fünfzigerjahre noch große Überzeugungsarbeit leisten musste – wurde durch den blossen Gebrauch der Rechner jedermann intuitiv plausibel.
    Nichts anderes aber hatte auch Nummer 2 immer von sich behauptet: Das rationale Individuum ist eine Rechenmaschine. Es ist reduzierbar auf das, was es egoistisch will und wählt, seine sogenannten Präferenzen, und die lassen sich mathematisch berechnen. Die Formalisierung der Ökonomie durch mathematische Formeln nach dem Zweiten Weltkrieg (Davis nennt sie einen »Rüstungswettlauf« unter Ökonomen um Prestige und Einfluss) erlaubt, dass man Individuuen tatsächlich nur noch als »mathematische Objekte sieht«. 27
    Jeder Ökonom würde zugeben: Die Annahmen über den Menschen sind vereinfachend. Sie sind es auf eine derart radikale Weise, dass, wie man zu Recht hervorgehoben hat, »das Individuum auf den Punkt eines Nichts heruntergebrochen wird, mit Ausnahme der Eigenschaft seiner automatenhaften Präferenzen«. 28 Was aber, wenn die Wirklichkeit zu genau diesem Automaten wird? Was, wenn aus der Welt zunehmend eine große Maschine wird, die genau so operiert? Das Problem sind nicht die simplifizierten Modelle. Das Problem ist, dass wir Zeugen eines Umbruchs werden, in dem diese Modelle die Wirklichkeit codieren und dadurch selbst wirklich werden. Und nicht nur das: sie entscheiden darüber, was rational ist und was nicht. Wem das zu abstrakt ist, der frage sich, welche »Präferenzen« ihm Google oder Facebook vorgeben, oder, was im Augenblick sehr viel dramatischer ist, welche Börsenalgorithmen die Präferenzen des Traders abbilden. Die Annahmen von Nummer 2 sind beim Lesen eines E-Books, bei »smarten« Geräten, in Finanzmärkten, im politischen Leben alle immer schon implantiert. Sie sind, wie Michael Callon sagt, »performativ«, sie schaffen die Wirklichkeit, die sie modellieren. 29
    Dieser imperialistische Sieg hat eine Vorgeschichte, die unmittelbar mit dem Kalten Krieg zu tun hat.
    Dass jeder Mensch in Märkten gewinnen und nicht verlieren will, ist eine Banalität. Dass man niemandem vorwerfen kann, dass er ein Geschäft machen will, ist trivial. Das Neue aber war, dass jetzt ausschließlich die egoistische Motivation zählte und dass in ihrem Bilde eine ganze Gesellschaft modelliert werden sollte. Die stillschweigende Übereinkunft, dass Menschen in Wahrheit vielschichtiger, reicher, widersprüchlicher und mora-lischer waren, als es die Theorie
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