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Egeland, Tom

Titel: Egeland, Tom
Autoren: Frevel
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und mit einem Feuerzeug herumspiele.
    » Ja, Mama, ich bin zu Hause. «
    Ich hätte nicht anrufen sollen. Das war eine Art Zwangshandlung. Ich bin nicht immer ganz bei mir. Wenn ich nachts aufwache, reiben sich dumme Gedanken an meinen Nerven. Das ist wie bei Zahnschmerzen und Mandelentzündung. Nachts wird das alles schlimmer. Aber ich muss Mama damit nicht behelligen. Nicht um halb vier. Ich hätte eine Valium nehmen können. Stattdessen habe ich Mama angerufen. Als wenn mich das jemals getröstet hätte.
    » Ich hab einfach nur wach gelegen. Und nachgedacht. Und dann wollte ich deine Stimme hören. Sonst ist nichts weiter. «
    » Bist du sicher, Lillebjørn? «
    Hinter ihren Worten ahne ich eine Spur Verärgerung. Schließlich ist es verdammt früh. Sie hatten geschlafen. Ich hätte bis zum Morgen warten können, wenn es nur ihre Stimme war, die ich hören wollte.
    » Tut mir Leid, dass ich euch geweckt habe «, sage ich.
    Sie ist außer sich. Ich rufe doch sonst nicht mitten in der Nacht an. Es muss etwas geschehen sein. Etwas, das ich erzählen will.
    » Lillebjørn, soll ich kommen? «
    » Ich wollte bloß – ein bisschen reden. «
    Wieder höre ich ihren Atem. Die schnellen Atemzüge erfüllen den Hörer. Wie der obszöne Anruf eines Fremden.
    » Jetzt? «, fragt sie zögernd. Die Andeutung der Uhrzeit ist Mamas einziger Kritikpunkt.
    » Ich habe wach gelegen. Und nachgedacht. An Morgen. Und deshalb bekam ich Lust, dich anzurufen. «
    Ich warte darauf, dass die Erkenntnis sie wie ein eiskalter Polarwind trifft.
    » Weil dann Dienstag ist? «, fragt sie.
    Sie hat es nicht kapiert. Oder sie stellt sich dumm.
    Im Hintergrund grunzt der Professor.
    ∗ ∗ ∗
    I ch weiß fast nichts über Mamas Kindheit. Sie wollte nie darüber reden. Aber es ist leicht zu verstehen, warum sich Papa in sie verliebt hat. Sie war nicht wie die anderen Mädchen auf dem Gymnasium. Sie hatte etwas Kühnes, Geheimnisvolles. Während der ganzen Schulzeit hatte er versucht, Mama anzumachen. Zu guter Letzt gab sie nach. Auf den Abi-Bildern ist ihr runder Bauch gut zu erkennen.
    Im Halbdunkel kann Mama noch immer wie eine Abiturientin aussehen. Sie ist hübsch und anziehend wie eine im Mondlicht tanzende Elfenkönigin.
    Manchmal frage ich mich, was die Jugend mit Mama gemacht hat. Vor dem Krieg wohnten Großvater und Großmutter im Norden, in einem Haus mit geklöppelten Gardinen und Wachstüchern und Wänden, durch die der Nordwestwind geradewegs hindurchpfiff. Das Haus war nicht groß. Ich habe es auf einem Bild gesehen. Es lag draußen auf einer Landzunge. Eine Küche, in der sie nachts in den Spülstein pinkelten, ein Wohnzimmer und ein Schlafboden. Und draußen ein Plumpsklo. Es war immer sauber und aufgeräumt. Die Deutschen steckten das Haus in Brand. Großmutter und Großvater konnten ein Fotoalbum retten und ein paar Kleider. Großmutter wohnte anschließend einige Zeit in Nordschweden, während Großvater ein neues Haus auf der Landzunge am Fjord baute. Aber es wurde nie wieder das Gleiche. Dann bekamen sie Mama. Aber das half nicht. Der Krieg hatte etwas mit Großvater gemacht. In Oslo zogen sie zu Großmutters Schwester. Aber niemand konnte einen ner venschwachen Fischer gebrauchen oder eine Frau, die einen Kabeljau in sieben Sekunden ausnehmen und Entzündungen mit Kräutern heilen konnte. Die mit den Toten sprach, wenn es dunkel war.
    An jedem Meilenstein ihres Lebens wartete ein » Aber «.
    Großvater wurde im Hafenbecken treibend gefunden, als Mutter vier Jahre alt war. Die Ermittlungen waren oberflächlich, die Sache wurde zu den Akten gelegt. Großmutter bekam eine Anstellung als Haushälterin bei einer wohlhabenden Familie in Grefsen. Schweigend und verschlossen führte sie ihre Arbeiten aus. Nur die, die ihrem Blick standhielten, erkannten die stumme Würde, die in ihr wohnte.
    Sie suchte sich nie einen neuen Mann. Sie verehrte die fünf Fotografien von Großvater wie Ikonen. Im Schrank hatte sie ein Hemd, das sie noch nicht gewaschen hatte, als er gestorben war. Es war fleckig und stank harsch nach Schweiß und Fisch. In diesem Hemd bewahrte sie Großvater.
    ∗ ∗ ∗
    M ama war nicht so hingebungsvoll.
    Als Papa starb, tilgte sie ihn aus ihrer Erinnerung. Löschte ihn aus. Finito. Ende. Sie entfernte alle Bilder von ihm. Verbrannte die Briefe. Gab die Kleider weg. Er wurde eine mystische Gestalt. Einer, über den wir niemals sprachen. Einer, der niemals existiert hatte. Systematisch wurde unser hölzernes
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